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Die Wissenschaft der Involution

Kritik am Kreationismus
Die grundlegenden Kritikpunkte an der bibeldogmatischen Schöpfungstheorie

Vorwort
Verschiedene Arten von Kreationismus
Die 7000-Jahre-Interpretation der Genesis ist nicht zwingend
Die Widersprüche von Gen 1 und Gen 2
Die „bibeltreue“ Interpretation ist bibelverfälschend
Spurensuche in den sumerischen Mythen
Das Buch Genesis ist nicht „historisch“
Bereshit bara – Was sagen die ersten Worte der Bibel?
Fazit



Der Schöpfergott erschafft Adam (Michelangelo Buonarroti)

Die Bibel (1. Buch Mose, „Genesis“) enthält zwei Schöpfungsberichte:
Der erste ist die Sieben-Tage-Schöpfung; der Mensch wird am 6. Tag erschaffen.


Vorwort

Die vehementeste und konsequenteste Darwinismus-Kritik kommt aus dem Lager der biblischen Kreationisten. Aber wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen, stellen sie nur das andere Extrem dar. Die Darwinismus-Kritik der Kreationisten ist sehr erhellend, in gewissen Punkten sogar vernichtend, aber ihre Alternative ist auch nicht „besser“. Da sie einen religiösen Absolutheitsanspruch vertreten, indem sie nur die Bibel und nur ihre eigene Interpretation der Bibel gelten lassen, erscheint ihre Darwinismus-Kritik nicht so sehr als Kritik, sondern vielmehr als ein Mittel der radikalen Missionierung.

Die Darwinismus-Kritik der biblischen (und auch der islamischen) Kreationisten ist sehr fundiert, obwohl die Evolutionsanhänger sie meistens pauschal als „pseudo­wissenschaftlich“ abkanzeln. Obwohl die kreationistische Darwinismus-Kritik alles andere als pseudowissenschaftlich ist, muß sie sich einen berechtigten Vorwurf gefallen lassen, nämlich den der voreiligen Schlußfolgerung. Denn sehr oft wird von seiten der Kreationisten behauptet oder zumindest angedeutet, die Tatsache, daß die materialistische Evolutionstheorie große Mängel aufweise, bedeute automatisch, daß deshalb die biblische Beschreibung die richtige sei. Der Bibel-Kreationismus präsentiert sich gerne als die einzig wirkliche Alternative zum Darwinismus, was er aber keineswegs ist. Er ist nichts anderes als die „These“, zu der der Darwinismus seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Stellung der „Antithese“ bezogen hat. Die Lösung ist jedoch nicht einfach eine „Synthese“, denn die Vereinigung zweier Halbwahrheiten bringt nicht gezwungenermaßen eine höhere Wahrheit hervor.

Die Mängel des Darwinismus sind also noch lange kein Beweis dafür, daß der Mensch die Schöpfung eines anthropomorphen Gottes ist, der aus Lehm Adam, den ersten Menschen, modellierte und aus dessen Rippe einen weiteren Menschen, die erste Frau, erschuf.

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Verschiedene Arten von Kreationismus

Die Kreationisten, die eine biblische Schöpfungstheorie vertreten, sind entsprechend ihrer jeweiligen Genesis-Interpretation in verschiedene Lager gespalten. (Vertreter unterschiedlicher Kreationismus-Richtungen sind auch Islam zu finden, der ebenfalls - mit unterschiedlichen Interpretationen - von der biblischen Genesis mit Adam und Eva ausgeht.)

Mit dem Begriff „
biblischer Kreationismus“ werden all jene Strömungen zusammen­gefaßt, die die Entstehung des Kosmos, der Erde und der Menschheit mit der biblischen Genesis erklären. Wie bereits erwähnt, ist auch das kreationistische Lager vielfach zersplittert. Grundsätzlich lassen sich folgende drei Strömungen unterscheiden:

  • Die Young-Earth-Kreationisten: Sie glauben, daß Gott die Welt in sechs Tagen erschuf, was gemäß ihrer Genesis-Interpretation vor rund 7000 Jahren geschah; Gott schuf damals das gesamte All, „Himmel und Erde“, in einem einzigen Schöpfungsakt „aus dem Nichts“. Creatio ex nihilo, „Schöpfung aus dem Nichts“, ist ein grundlegender Punkt in ihrem Glaubensbekenntnis.
  • Die Old-Earth- und Day-Age-Kreationisten: Sie glauben, daß Gott die Welt erschaffen hat, so wie es die biblische Genesis beschreibt, doch sie interpretieren die „Tage“ des Schöpfungsberichts als lange Schöpfungsphasen (ein Tag = ein Zeitalter).
  • Die Gap-Kreationisten: Sie glauben, daß zwischen den Schöpfungsakten jeweils eine lange Pause (engl. gap) stattfand. Zyklische Entwicklungsschübe durch das göttliche „Es werde“ brachten etappenweise das Universum und die Erde mit dem darauf vorhanden Leben hervor.
Wenn die Kreationisten unter sich zerstritten sind, dann geht dies vor allem auf die Young-Earth-Kreationisten zurück, die meinen, alle anderen Kreationisten würden die Bibel falsch auslegen und seien mit dem teuflischen Geist des Darwinismus einen Kompromiß eingegangen. „Keine Kompromisse“ ist daher auch der Schlachtruf, den sich die Young-Earth-Kreationisten auf ihren Banner geschrieben haben. Sie haben dem Darwinismus den Krieg erklärt und wollen, daß an den Schulen der biblische Young-Earth-Kreationismus gleichwertig neben dem Darwinismus gelehrt wird. Angesichts der Tatsache, daß der Darwinismus keineswegs bewiesen ist, ist diese Bemühung verständlich und legitim, doch sie bewirkt leider, daß die Öffentlichkeit den Eindruck bekommt, evolutionskritisch zu sein bedeute automatisch, daß man an eine Schöpfung vor 7000 Jahren glauben müsse. Dadurch machen sie es den Darwinismus-Anhängern sehr leicht, jede Darwinismus-Kritik in diesen biblischen „Topf“ zu werfen und lächerlich zu machen.
Im weiteren Sinn ist jeder Mensch ein Kreationist, der nicht an das materialistische Evolutionsszenario glaubt und der Überzeugung ist, daß Materie von einer absoluten Intelligenz und Individualität hervorgebracht und geformt wird. Es sind vor allem die Young-Earth-Kreationisten, die mit ihrer „Kompromißlosigkeit“, d.h. mit ihrem Absolutheitsanspruch, eine Spaltung der Kreationisten bewirken. (Es besteht jedoch ein großer Unterschied zwischen echter Kompromißlosigkeit und einem Absolutheitsanspruch. Wer meint, kompromißlos zu sein bedeute, einen Absolutheitsanspruch zu vertreten, hat nicht verstanden, was „absolut“ bedeutet.)
Aus diesem Grund drängt sich hier eine kritische Betrachtung des Young-Earth-Kreationismus auf. Wenn also im folgenden von „Kreationisten“ gesprochen wird, bezieht sich dies auf die Young-Earth-Kreationisten.

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Die 7000-Jahre-Interpretation der Genesis ist nicht zwingend

Die Annahme, die gesamte Schöpfung habe vor rund 7000 Jahren stattgefunden, begründet sich dadurch, daß laut Bibel die Erschaffung von Adam und Eva vor 7000 Jahren stattgefunden habe. Das Buch Genesis nennt alle Nachkommen von Adam und Eva mit Namen und Lebensdauer. Die Genealogie wird von Adam und Eva über Noah bis hin zu Abraham und von Abraham über Isaak und Jakob bis hin zu Jesus geführt. Das Matthäus-Evangelium enthält eine Liste von Jesu Vorfahren, die bis auf Abraham zurückgeht. Das Lukas-Evangelium nennt eine Liste, die sogar bis Adam zurückgeht. Zwischen diesen beiden Listen bestehen jedoch erhebliche Unterschiede.

Bei der Untersuchung der biblischen Schöpfungsbeschreibung ist es wichtig zu wissen, daß im 1. Buch Mose (genannt „Genesis“) die Erschaffung des Menschen zweimal beschrieben wird.

Die erste Beschreibung findet sich im ersten Kapitel der Genesis im Rahmen der Sieben-Tage-Beschreibung:

Und Gott sprach: „Lasset uns Menschen machen nach unserem Bilde […]“ Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, nach dem Bilde Gottes schuf er ihn; als Mann und Frau schuf er sie. […] Und Gott sah alles an, was er gemacht hatte, und sah, daß es gut war. So wurde es Abend und Morgen: der sechste Tag. (Gen 1,26-31)

Die zweite Beschreibung findet sich gleich anschließend an die Sieben-Tage-Beschreibung (ab Gen 2,4). Es ist die Geschichte der Erschaffung von Adam und Eva; diese führt über den Sündenfall hin zu Noah und zur Sintflut:

Als Gott, der Herr, Himmel und Erde machte, gab es zunächst noch kein Gras und keinen Busch in der Steppe; denn Gott hatte es noch nicht regnen lassen. Es war auch noch niemand da, der das Land bebauen konnte. Nur aus der Erde stieg Wasser auf und tränkte den Boden. Da nahm Gott Erde, formte daraus den Menschen und blies ihm den Lebenshauch in die Nase. So wurde der Mensch lebendig. (Gen 2,4-7)

Für die Kreationisten ist diese zweite Beschreibung ein Rückgriff auf das erste Kapitel der Genesis, wobei nun im Detail beschrieben werde, wie Gott am sechsten Tag den Menschen geschaffen habe. Deshalb liege dieser sechste Schöpfungstag genauso 7000 Jahre zurück wie die Erschaffung von Adam und Eva.

Die Annahme, Gott habe die Welt vor 7000 Jahren erschaffen, stammt also nicht aus dem Sieben-Tage-Bericht von Gen 1, sondern aus Gen 2 und wird abgeleitet aus dem Stammbaum von Adam. Wenn nun beide Schöpfungsberichte gleichgesetzt und vermischt werden, drängt sich fast gezwungenermaßen der theologische Schluß auf, Gott habe die Welt vor 7000 Jahren „aus dem Nichts“ geschaffen.

Die Annahme, die Geschichte von Adam und Eva sei nichts anderes als die detaillierte Beschreibung von Tag 6 aus Gen 1, ist jedoch sehr umstritten. Erstens wird dies im Bibeltext selbst nicht gesagt, zweitens werden unterschiedliche Gottesnamen verwendet (in Gen 1 „Elohim“, in der Adam-und-Eva-Geschichte „Jahwe“), und drittens lassen sich deutliche Widersprüche zwischen beiden feststellen. Aus inhaltlichen, sprachlichen und texthistorischen Gründen sind die meisten Bibel-Theologen deshalb auch der Ansicht, daß Gen 1 und Gen 2 (ff.) parallele Beschreibungen der Menschenschöpfung sind, die aus unterschiedlichen Quellen stammen und nicht direkt zusammenhängen.

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Die Widersprüche von Gen 1 und Gen 2

Wie bereits betont, behauptet die Bibel nicht, daß die Beschreibung der Schöpfung des Menschen in Gen 1 und Gen 2 dasselbe sind. Diese Ansicht ist eine Interpretation, die zwingend notwendig ist, wenn man die historischen Wurzeln der Bibel nicht beachtet und meint, die gesamte Bibel sei direkt von Gott diktiert worden und Gott habe in Kapitel 2 der Genesis einfach nur das genauer beschreiben wollen, was er in Gen 1 in einer kurzen Zusammenfassung skizziert hatte. Wäre das der Fall, hätte der Schreiber, der Gottes Diktat empfing, bestimmt darauf hingewiesen, daß hier nochmals das Geschehen des sechsten Tages beschrieben wird. Das tut er jedoch nicht, und Gen 2 klingt auch nicht wie ein Anschluß an Gen 1. Gen 2 enthält nicht die geringste Bezugnahme auf Gen 1 und stellt vielmehr eine eigene, ganz anders geartete Schöpfungsgeschichte dar. Dies führt zu erheblichen Widersprüchen, die von den Bibel-Kreationisten nur mit großer Mühe und nicht sehr überzeugend wegdiskutiert werden können. (Dieses Wegdiskutieren ist nur dann nötig, wenn man die beiden Beschreibungen aufgrund einer dogmatischen Bibel-Interpretation a priori als identisch sehen „muß“.)

Ein deutlicher Widerspruch ist folgender: In Gen 1 heißt es, daß Gott die Pflanzen am dritten Tag schuf. Aber in Gen 2 wird ausdrücklich gesagt, daß es zum Zeitpunkt der Erschaffung des Adam auf der Erde noch keine Vegetation gab.

Kreationisten antworten hier, dies sei kein Widerspruch, denn in Gen 2,8 heiße es, daß Gott den Garten Eden anlegte und dort Bäume „pflanzte“ und „aufwachsen“ ließ; es sei also keine Neuschöpfung, sondern ein Zurückgreifen Gottes auf eine bereits vollzogene Schöpfung, nämlich auf die des dritten Tages.

Dem kann man wiederum entgegenhalten, daß Gott am ersten Tag (gemäß der wörtlichen Lesart) das Universum und darin allein die Erde als Lebensträgerin geschaffen habe. Am dritten Tag heißt es: „Die Erde soll grün sein, alle Arten von Pflanzen und Bäumen sollen darauf wachsen …“ Erst am vierten Tag schafft Gott die anderen Himmelskörper, insbesondere die Sonne und den Mond. Die Erde wurde also grün ohne Sonne und Mond! Gemäß der Interpretation der Kreationisten besagt dies, daß alle Himmelskörper nur in bezug auf die Erde erschaffen worden seien; sie seien Leuchten am Himmel und nicht etwa Orte eines „außerirdischen“ Lebens. (Der größte Teil des Universums mit all seinen Galaxien und Sonnen wäre dann allerdings eine nutzlose Schöpfung, denn von den meisten Sternen dringt kein Licht bis zur Erde vor, und von den dortigen Planeten erst recht nicht.)

Am fünften Tag entstehen die Vögel und die Wassertiere, und Gott sagt deutlich: „Vermehrt euch auf der Erde …“ Am sechsten Tag werden die Tiere geschaffen, und dann sagt Gott: „Laßt uns den Menschen machen!“ Da nirgendwo gesagt wird, daß Gott woanders als nur auf der Erde Leben geschaffen hat, haben alle Schöpfungsakte auf der Erde stattgefunden. Am sechsten Tag wurde der Mensch also – gemäß Gen 1 – in eine Welt gesetzt, in der bereits eine vollständige Pflanzen- und Tierwelt vorhanden war. Aber Gen 2,19 sagt, daß Gott nach der Erschaffung des Adam „aus Erde die Landtiere und Vögel formte“, und danach erschafft er aus „Adams Rippe“ die Eva, damit der Mann Adam nicht alleine sei.


Sündenfall (Hugo van der Goes 1470)

Der zweite Schöpfungsbericht dreht sich um die Erschaffung von Adam und Eva,
wobei dieser Bericht viele Elemente aus der sumerischen Überlieferung
enthalten. Das bibelkreationistische Dogma besagt, die Adam-und-Eva-
Geschichte sei die detaillierte Schilderung von dem, was im anderen
Schöpfungsbericht als „Tag 6“ erwähnt wird. Weil die Schöpfung von Adam
und Eva laut Bibelangabe rund fünftausend Jahre v. Chr. geschah, entsteht
aus der Verschmelzung der beiden Schöpfungsberichte die (irrige) Annahme,
der Tag 6 und somit die gesamte Erschaffung der Erde und des Universums(!)
habe vor siebentausend Jahren stattgefunden.

[Bildquelle: http://www.zeno.org - Zenodot Verlagsgesellschaft mbH]



Irgendwann später erscheint die Schlange und verführt Eva. „Am Abend, als es kühler wurde, hörten sie, wie Gott durch den Garten ging. Sie versteckten sich zwischen den Bäumen …“, aber Gott findet sie und bestraft sie, indem er sie aus dem Paradies weist und am Eingang zum Garten Eden Cherubim-Wächter hinstellt (Gen 2,24). In den sechs Tagen schuf Gott keine Engel und keine „außerirdischen“ Wesen, und auf der Erde gibt es nur Adam und Eva. Die Cherubim werden mit einem „flammenden Schwert“ an den Eingang von Eden gestellt, denn „kein Mensch sollte zum Baum des Lebens gelangen“. Gab es noch andere Menschen außer Adam und Eva? Außerhalb des Gartens Eden war das Land immer noch lehmig und unwirtlich – ganz im Gegensatz zur Sieben-Tage-Beschreibung, in der es deutlich heißt, daß die ganze Erde seit dem dritten Tag grün und üppig bewachsen ist.

Um die beiden Beschreibungen in Übereinstimmung zu bringen, müssen die Kreationisten viele gekünstelte Argumente vorbringen. Gleichzeitig behaupten sie, der biblische Genesis-Bericht sei einzigartig; alle anderen Kulturen hätten nur primitive Glaubensvorstellungen gehabt. So schreibt z.B. der evangelikale Referent und Autor Werner Gitt in seinem Buch „Das biblische Zeugnis der Schöpfung“ (1993) auf S. 33:

Im Schöpfungsbericht werden uns sowohl Glaubensaussagen als auch ein Spektrum naturwissenschaftlich bedeutsamer Fakten übermittelt. Diese sind so grundlegend für das Verständnis dieser Welt, daß sie sich deutlich von allen heidnischen Glaubensvorstellungen, von den Kosmologien und Kosmogonien alter Völker und der heutigen naturphilosophischen Vorstellungen absetzen.

Solch voreingenommene und auch unwahre Behauptungen sind leider erforderlich, wenn man einen pseudo-biblischen Absolutheitsanspruch aufrechterhalten will.

Letztlich läßt sich der Kreationistenstreit auf zwei grundlegende Glaubensfragen reduzieren: Ist die Geschichte von Adam und Eva und ihren Nachkommen nur symbolisch oder auch historisch gültig? Ist die Geschichte von Adam und Eva identisch mit dem sechsten Schöpfungstag, der im 1. Kapitel der Genesis beschrieben wird?

Die Young-Earth-Kreationisten beantworten beide Fragen mit einem kategorischen und „kompromißlosen“ Ja, weshalb sie auch der Ansicht sein müssen, die Erde, die Sonne und das gesamte Universum seien nicht mehr als 7000 Jahre alt.

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Die „bibeltreue“ Interpretation ist bibelverfälschend

Wer den theologischen Überbau des „biblischen“ Kreationismus näher betrachtet, erkennt bald, daß dieser einer Form von Religion entspringt, die auf verblüffende Ursprünge zurückgeht, insbesondere auf die Vorstellung, Sündenvergebung und Erlösung sei nur durch „Blut“ möglich. Einer der führenden internationalen Kreationisten-Prediger der Gegenwart, Ken Ham, schreibt in seinem Buch Genesis and the Decay of Nations (1991), S. 21:

Im Hebräer-Brief 9,22 heißt es: „… ohne Blutvergießen gibt es keine Vergebung der Sünden.“ Gott führte den Tod und das Blutvergießen ein, damit der Mensch am Schluß erlöst werden kann. (Er tötete im Garten Eden notwendigerweise zumindest ein Tier, um Adam und Eva ein Kleid aus Fell geben zu können.) Tod und Blutvergießen gab es vor Adams Sündenfall nicht. Hätte es dies gegeben, wäre die gesamte Erlösungsbotschaft ein Unsinn. In Liebe führte Gott den Tod ein, damit wir sterben und unsere sündhaften Körper ablegen können und damit Jesus kommen und am Kreuz sterben konnte, indem Er Sein kostbares Blut am Kreuz vergoß – so daß Er vom Tod auferstehen konnte und wir in Ewigkeit mit Ihm zusammensein können.

Mit ihrer Genesis-Interpretation erheben die Kreationisten einen Monopolanspruch auf die Erlösung durch Jesus Christus, indem sie sagen, Sünde und Tod seien durch den Sündenfall von Adam und Eva entstanden, und Jesus sei gekommen, um die Menschheit durch sein Opferblut von dieser Erbsünde zu befreien; wenn man nicht auf die Art an die Genesis glaube, wie sie, die Kreationisten, es tun, verliere man die durch Jesus angebotene Erlösung und komme in die ewige Hölle.

Wer die Bibel mit einem Absolutheitsanspruch auslegt, wie dies die Young-Earth-Kreationisten – und auch andere Kreationisten – tun, vertritt eine Erlösungsbotschaft, die aus der Bibel selbst nicht hervorgeht. Vielmehr sagt Jesus sehr deutlich, was er für das wichtigste Gebot hält, dem alle anderen Gebote untergeordnet sind:

„Liebe Gott, den Herrn, mit deinem ganzem Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Denken. Dies ist das größte und wichtigste Gebot. Das zweite ist gleich wichtig: ,Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!‘ In diesen beiden Geboten ist alles zusammengefaßt, was das Gesetz und die Propheten fordern.“ (Mt 22,37-40)

Diese Aussage Jesu ist so wichtig und zentral, daß sie in drei der vier Evangelien fast gleichlautend wiedergegeben wird. Nirgendwo verlangt Jesus, daß man ein Bibelfundamentalist sein müsse, um Gottes Gnade zu erlangen – aus dem einfachen Grund, weil es damals noch gar keine Bibel gab! Wenn in einem Apostelbrief (1 Thess 2,13) gesagt wird: „Das von uns gepredigte Wort ist Gottes Wort“, so ist es ebenfalls nicht zulässig, dies ausschließlich und pauschal auf die Bibel zu beziehen, eben weil die Bibel erst dreihundert Jahre später von der römischen Kirche im Lauf mehrer Konzilien zusammengestellt wurde.

Die Behauptung, wer Jesus nachfolge, müsse fundamentalistisch an die Bibel glauben, ist nichts Geringeres als eine Verfälschung der Botschaft Jesu. Jesus hat sehr deutlich gesagt, was er von Fundamentalisten und Schriftgelehrten hielt, und er hat auch davor gewarnt, daß viele – und nicht nur einige Außenseiter – in seinem Namen kommen würden.

Der biblische Genesis-Bericht vermittelt eine grundlegende Beschreibung der Motive und Methoden Gottes hinsichtlich der Schöpfung. Insbesondere weist er auf die Individualität Gottes hin, ohne die man das Geheimnis der Schöpfung nicht richtig verstehen kann. Wenn man die Genesis mit einer Sicht liest, die hinter die Buchstaben reicht, bekommt man einen Schlüssel, der es erlaubt, auch die anderen Textstellen differenziert zu verstehen, denn nicht alle sind direkt Gottes Wort. Einige spiegeln ältere Quellentexte wider, die auf sumerische Überlieferungen zurückgehen, nicht zuletzt auch die Beschreibung von „Adam und Eva“ und von „Gottes Zorn“, der zur Sintflut führte. Der Vergleich dieser Quellen bringt Erstaunliches an den Tag.

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Spurensuche in den sumerischen Mythen

Was das Thema „Sintflut“ betrifft, so kann die kreationistische Forschung im Bereich der Geologie und Paläontologie deutlich zeigen, daß die Erde voller Spuren einer solchen weltweiten Katastrophe ist. Diese Spuren springen ins Auge, sobald man die Brille der darwinistisch-aktualistischen Geologie-Interpretation ablegt. Hinzu kommt, daß praktisch alle alten Kulturen der Welt einen Sintflutbericht kennen. Relevant für unsere Analyse sind die Parallelen zwischen der biblischen und der sumerischen Darstellung.

Es besteht kein Zweifel, daß die Sintflutbeschreibungen, die in den Keilschrifttexten, insbesondere im Gilgamesch-Epos, zu finden sind, älter sind als der Bericht in der Bibel. Wie in den Genesis-Kapiteln 6 bis 9 werden auch in den Keilschrifttexten die Vorgeschichte der Sintflut, die Sintflut selbst und das Ende der Sintflut beschrieben; es überlebt ebenfalls nur eine einzige Familie dank vorheriger göttlicher Warnung.

Gemäß den sumerischen Texten ereignete sich die Sintflut im Rahmen eines archaischen Konfliktes zwischen Enlil und Enki, den beiden Führern der sumerischen Götter, die als „Anunnaki“ (wörtlich: „die vom Himmel (
anu) kamen (na) auf die Erde (ki)“) bezeichnet werden. In moderner Science-fiction-Sprache ausgedrückt, verwendeten diese Anunnaki das Dimensionstor des Nahen Ostens, um Zugang zur Erde zu bekommen. Warum kamen sie auf die Erde? Die sumerischen Texte sagen es deutlich: um die Ressourcen des Planeten auszubeuten und sich Arbeitssklaven zu schaffen.

Die Hauptstützpunkte dieser Kolonisatoren befanden sich in dem geographischen Bereich, der später Sumer und Babylon genannt wurde (größtenteils im heutigen Irak). Ihr Aktionsfeld erstreckte sich aber über den ganzen Mittleren und Nahen Osten bis nach Libanon, wo man heute noch einen der wenigen erhaltenen Reste ihrer vorsintflutlichen Megalith-Zweckbauten findet: Im hügeligen Gebiet von Baalbek/Libanon erstellten sie eine große Terrassenfläche, in deren Stützmauern sie gewaltige Steinblöcke einfügten, insbesondere drei perfekt behauene Riesenquader, die je 20 m lang, 4 m breit und 3,6 m hoch sind; jeder wiegt rund 800 Tonnen!

Die Keilschrifttexte berichten, daß die Anunnaki zum Zeitpunkt der Sintflut immer noch auf der Erde anwesend waren und daß sie entschieden, die Menschheit durch diese globale Katastrophe umkommen zu lassen. Enki jedoch warnte einen seiner Lieblingsmenschen und gab ihm eine Anleitung, wie er ein sintflutsicheres Boot bauen konnte. Als die anderen Götter erkannten, daß ein kleiner Teil der Menschheit überlebt hatte, wurden sie zornig, doch sie ließen sich von Enki beruhigen, da die Überlebenden wieder bereit waren, ihnen Opfer darzubringen. In der sogenannten Ninive-Fassung des Gilgamesch-Epos heißt der Überlebende Utnapischtim, in den alten sumerischen Keilschrifttexten heißt er Ziusudra. Ein anderer Name für Gott Enki ist Ea.

In seinem Buch „Middle Eastern Mythology“ (1963), einem Standardbuch zu diesem Thema, schreibt Prof. Samuel Henry Hooke:

Das zentrale Motiv des [Flut-]Mythos ist, daß die Götter entscheiden, die Menschheit zu zerstören […]. Es ist schon seit langem bekannt, daß die biblische Sintflutgeschichte auf den babylonischen Mythos zurückgeht […]. Daß die babylonische Darstellung des Mythos jedoch auf einer früheren, sumerischen Version gründet, wurde erst 1914 bekannt, als der amerikanische Gelehrte Arno Poebel Fragmente sumerischer Keilschrifttafeln veröffentlichte, die Episoden beschrieben, die klar dem Mythos der Flut entsprachen. […] Grundlegend besagt die sumerische Version der Sintflutgeschichte folgendes: Am Punkt, wo das Fragment beginnt, erscheint ein Gott, der seine Absicht kundtut, die Menschheit vor der Zerstörung zu erretten, obwohl die Götter entschieden haben, die Menschen dieser Zerstörung preiszugeben. Der Grund für diese Entscheidung wird nicht genannt. Enki ist der Gott, der Schritte unternimmt, um die Menschheit vor der Zerstörung zu retten. Er unterrichtet Ziusudra, den frommen König von Sippar, was zu tun ist, um die Flut zu überleben. (S. 30-31)

Im Gilgamesch-Epos wird beschrieben, wie die Anunnaki die Erde bei der Sintflut verlassen müssen und dabei um ihre Verluste klagen. In der deutschen Übersetzung von Albert Schott (Reclam Verlag 1988) klingt dies wie folgt:

Einen Tag lang wehte der Südsturm …,
Eilte dreinzublasen, die Berge ins Wasser zu tauchen,
Wie ein Kampf zu überkommen die Menschen.
Nicht sieht einer den andern,
Nicht erkennbar sind die Menschen im Regen.
Angesichts dieser Sintflut erschraken die Götter,
Sie entwichen hinauf zum Himmel des Anu –
Die Götter kauern wie Hunde [zusammengerollt],
Sie lagern draußen [im Weltall?].
Es schreit Ischtar wie eine Gebärende,
Es jammert die Herrin der Götter, die schönstimmige:
„Wäre doch jener Tag zu Lehm geworden,
An dem ich der Schar der Götter Schlimmes gebot!
Wie konnte ich der Schar der Götter Schlimmes gebieten,
Den Kampf zur Vernichtung meiner Menschen gebieten!
Erst gebäre ich meine lieben Menschen,
Und nun erfüllen sie wie Fischbrut das Meer!“
Die Anunnaki-Götter klagen mit ihr,
Die Götter … sitzen da und weinen […]

Gemäß der Aussage der Anunnaki-Frau Ischtar, auch Inanna genannt, war sie es, die die Menschen geboren hat, und sie bereut es, daß sie die anderen Götter dazu angehalten hat, „meine lieben Menschen“ zu vernichten. Die Redewendung „Wäre doch jener Tag zu Lehm geworden“ bedeutet: „Wäre dieser Tag doch nie geschaffen worden.“ Hier macht Ischtar eine direkte Verbindung von „Lehm“ und „Existenz“, was damals anscheinend eine übliche Redewendung war. Im selben Atemzug spricht sie von den Menschen, die sie erschuf und die dann auf ihre Anweisung hin wieder vernichtet werden sollten. Die Parallelen zum „Gott“, der in der Bibel den Adam aus Lehm schafft, danach dessen Vernichtung befiehlt und dann angesichts der unerwarteten Gewalt der Sintflut die Vernichtung bereut, sind frappant.

In dieser Hinsicht ist auch aufschlußreich, wie das Gilgamesch-Epos das Ende der Sintflut beschreibt:

Zum Berg Nissir [im heutigen Kurdistan] trieb heran das Schiff.
Der Berg Nissir erfaßte das Schiff und ließ es nicht wanken […]
Einen Raben ließ ich hinaus;
Auch der Rabe machte sich fort. Da er sah, wie das Wasser sich verlief,
Fraß er, scharrte, hob den Schwanz – und kehrte nicht um.
Da ließ ich [alle Insassen des Schiffes] hinausgehn nach den vier Winden;
Ich brachte ein Opfer dar,
Ein Schüttopfer spendete ich auf dem Gipfel des Berges:
Sieben und abermals sieben Rauchgefäße stellte ich hin,
In ihre Schalen schüttete ich Süßrohr, Zedernholz und Myrte.
Die Götter rochen den Duft,
Die Götter rochen den wohlgefälligen Duft,
Die Götter scharten sich wie Fliegen um den Opferer. […]
Sobald Enlil hinzugekommen war,
Sah Enlil das Schiff und ergrimmte,
Voller Zorn ward er über die Igigi-Götter:
„Eine Seele wäre entronnen?
Überleben sollt' niemand das Verderben!“
[Doch Enlil wird von Ea besänftigt …]
Da sprach Enlil, uns segnend:
„Ein Menschenkind zuvor war Utnapischtim;
Uns Göttern gleiche fortan Utnapischtim und sein Weib! […]“


Im Vergleich dazu lese man die Version im Buch Genesis:

Am siebzehnten Tag des siebten Monats ließ sich die Arche auf den Bergen von Ararat nieder. Die Wasser aber sanken noch weiter, bis zum zehnten Monat; am ersten Tag des zehnten Monats wurden die Spitzen der Berge sichtbar. Nach Verlauf von vierzig Tagen aber öffnete Noah das Fenster der Arche, das er gemacht hatte, und ließ einen Raben ausfliegen; der flog hin und her, bis die Wasser auf der Erde vertrocknet waren. […] Da ging Noah hinaus mit seinen Söhnen, mit seinem Weibe und seinen Schwiegertöchtern. […] Noah baute dem Herrn einen Altar; dann nahm er von allen reinen Tieren und von allen reinen Vögeln und brachte Brandopfer auf dem Altar dar. Und der Herr roch den lieblichen Duft und sprach bei sich selbst: Ich will hinfort nicht mehr die Erde wegen der Menschen verfluchen […] (Gen 8,4-7; 18-21, Zürcher Bibel)

Der gesamte Sintflut-Bericht der Bibel geht also auf sumerische, „heidnische“ Quellen zurück, aus denen die Verfasser der Genesis schöpften und das Überlieferte entsprechend umschrieben.

Ähnliches gilt auch für die Geschichte von Adam und Eva, die heute als derart typisch biblisch gilt, daß in ihr kaum jemand mehr die „heidnische“ Quelle erkennt. Die Geschichte von Adam und Eva hat neben sumerischen Wurzeln auch ägyptische, denn die Darstellung von Gott, der den Menschen aus Lehm schafft, stammt aus diesem Kulturkreis. Der „ägyptische“ Gott Chnum bildet den physischen und ätherischen Körper des Menschen, und die Göttin Heket macht den irdischen Menschenkörper lebensfähig, indem sie ihm das Leben (symbolisiert durch das Ankh, das Zeichen des Lebens) einströmen läßt. Hiervon finden sich in altägyptischen Tempeln viele Darstellungen, wie z.B. die hier abgebildete (nachgezeichnet von Hans Peter Renner, in: Hans Baumann, „Die Welt der Pharaonen“, Sigbert Mohn Verlag 1959).

Hinter dieser scheinbar primitiven Darstellung verbirgt sich hohes mystisches Wissen: Der physische Körper des Menschen und sein ätherisches Doppel (im Ägyptischen
ka genannt) wurden durch das gemeinsame Wirken von dualen Lichtwesen nach ihrem Abbild aus der dreidimensionalen Materie heraus verdichtet, so wie ein Töpfer ein Tongefäß (als geistige Vorstellung) durch konzentriertes Handeln aus der Erde heraus Form annehmen läßt.

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Das Buch Genesis ist nicht „historisch“

Nicht-dogmatische Bibel-Philologen aus jüdischem und christlichem Hintergrund räumen ohne ideologische Vorbehalte ein und betonen sogar, daß im Alten Testament, vor allem in der Genesis, verschiedene „heidnische“ Elemente zu finden sind. Im Alten Testament sind offensichtlich verschiedene Strömungen zusammengeflossen und wurden von den Redakteuren zu einem monotheistischen Gottesbild zusammengestellt, wobei gerade in der Sintflutgeschichte die polytheistischen Wurzeln nur sehr dürftig verwischt werden konnten. Diese Erkenntnis ist nicht wirklich neu, sondern bestätigt einfach das, was Philologen schon seit einiger Zeit wissen. Deshalb machen einige religiöse Institutionen daraus auch kein Geheimnis, auch jüdische nicht.

Ein Beispiel hierfür ist die neue Torah-Übersetzung, die im Jahr 2001 von der „Rabbinical Assembly“, der internationalen Vereinigung konservativer Rabbis, und von der „United Synagogue of Conservative Judaism“ herausgegeben wurde: Etz Hayim – Torah and Commentary. (Etz Hayim ist der hebräische Ausdruck für „Baum des Lebens“.) Dieses großformatige und monumentale Werk (1560 S.) ist die neue Standardausgabe der Torah für Millionen von Juden, sowohl für den privaten Gebrauch als auch für die öffentlichen Lesungen in der Synagoge. Die objektive, selbstkritische Haltung in den Kommentaren und erläuternden Artikeln offenbart einen erfrischenden, aber (für Fundamentalisten) provokativen Antidogmatismus.

Etz Hayim geht vom ältesten heute noch verfügbaren Torah-Manuskript aus, vom sogenannten „Leningrader Manuskript“ aus dem Jahr 1009. „Zwischen der ursprünglichen Niederschrift des Dokuments und der ältesten Kopie, die wir heute noch besitzen, besteht daher eine Lücke von rund 2000 Jahren“, erklärt Benjamin Edidin Scolnic in seinem Etz-Hayim-Beitrag „Modern Methods of Bible Study“ (S. 1499). Und er fügt hinzu (S. 1500):

Es mag aussehen, als ob die Torah [zu der auch die fünf Bücher Mose gehören] einen einheitlichen Bericht über die israelitische Geschichte und Gesetzgebung während der Zeit der Patriarchen und des Mose darstelle. Eine detaillierte Untersuchung des Textes hat moderne kritische Gelehrte jedoch zur Ansicht kommen lassen, daß die Torah eine Zusammenstellung aus mehreren Quellen ist, die auf verschiedene Strömungen literarischer Traditionen zurückgehen, die über den Zeitraum der biblischen Periode (ca. 1200 – ca. 400 v. Chr.) verfaßt und zusammengestellt wurden. Weil die Torah, aus dieser Perspektive betrachtet, ein Amalgam der Werke verschiedener Autoren und Schulen ist, enthält sie eine Fülle von faktischen Ungereimtheiten und widersprüchlichen Regeln sowie Unterschiede im Stil, im Vokabular und sogar in der Theologie.

Im Jahr 2001 veröffentlichten zwei führende jüdische Bibelarchäologen – Israel Finkelstein, Direktor des archäologischen Instituts der Universität von Tel Aviv, und Neil Silberman, Co-Redakteur des namhaften „Archaeology Magazine“ – ein aufsehenerregendes Buch: „The Bible Unearthed – Archaeology’s New Vision of Ancient Israel and the Origin of Its Sacred Texts“, in der deutschen Übersetzung: „Keine Posaunen vor Jericho – Die archäologische Wahrheit über die Bibel“ (München: Verlag C.H. Beck, 2002). Diese Autoren präsentieren die neusten Erkenntnisse der Bibelarchäologie und die sehr unorthodoxen Schlußfolgerungen, die sich aufdrängen:

Offensichtlich haben sich viele Ereignisse der biblischen Erzählung nicht in der beschriebenen Zeit oder Weise zugetragen. Einige der berühmtesten Ereignisse haben nie stattgefunden. (S. 16 in der dt. Ausgabe)

Mit anderen Worten: Man wird dem Buch Genesis nicht gerecht, wenn man behauptet, es stelle eine Schrift über wissenschaftliche Menschheitsgeschichte und Kosmologie dar. Die Schreiber wollten gar nicht eine Schrift mit diesem Anspruch verfassen, denn sie sahen sich in einem ganz anderen historischen, kulturellen und sozialen Kontext.

Die Adam-und-Eva-Geschichte ist also nicht „historisch“ (im anthropologischen Sinn) und auch nicht identisch mit der Beschreibung des sechsten Tages in Gen 1. Die scheinbar wörtliche Auslegung der zwei biblischen Schöpfungsberichte, wie ihn die Bibel-Kreationisten „kompromißlos“ verfechten, indem sie behaupten, Gen 1 und Gen 2 seien identische und zusammenhängende Schöpfungsberichte, geht am eigentlichen Kern dieser Berichte vorbei und führt zur falschen Schlußfolgerung, die Bibel besage, Gott habe die Welt und den Menschen vor siebentausend Jahren geschaffen.

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Bereshit bara – Was sagen die ersten Worte der Bibel?

Die weltweit aktivste bibelkreationistische Organisation nennt sich „Answers in Genesis“. Sie vertritt die Young-Earth-Theorie, und ihr Motto lautet: Upholding the authority of the Bible from the very first verse („wir halten die Autorität der Bibel vom allerersten Vers an hoch“).

Die Ironie hierbei ist, daß gerade der erste Vers der Bibel, angefangen mit den ersten zwei Wörtern, die bibeldogmatische Interpretation nicht stützt!

Der Schöpfungsbericht der Bibel beginnt mit den Worten: „Am Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde. Die Erde aber war wüst und leer, Finsternis lag auf der Urflut, und der Geist Gottes schwebte über den Wassern. Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. Und Gott sah, daß das Licht gut war, und er schied das Licht von der Finsternis.“

Die hebräische Formulierung des ersten Satzes lautet:
Bereshit bara jah elohim eth ha schamajim ve eth ha eretz, normalerweise übersetzt als „Am Anfang (bereshit) schuf (bara) Gott (jah elohim) die Himmel (eth ha schamajim) und die Erde (ve eth ha eretz).“

Vom Begriff
bara leiten die Kreationisten ihre Vorstellung von einer „Schöpfung aus dem Nichts“ ab, denn bara bezieht auf das urerste Schöpfen, das nur Gott vollziehen kann. „Schaffen im Sinne von ‹bara› kann allein Gott. […] Im Zusammenhang mit ‹bara› wird auch nie ein Grundstoff genannt, aus welchem Gott etwas schafft, denn ‹bara› ist das neue, unerhörte Schaffen, ohne daß irgend etwas vorgegeben ist. ‹Bara kann nur eine creatio ex nihilo (eine Schöpfung aus dem Nichts) ausdrücken.›“ Dies sagt sogar die „Wuppertaler Studienbibel“ (1983), die nicht explizit kreationistisch ausgerichtet ist.

Würde diese Interpretation stimmen, müßte man daraus schließen, daß Dunkelheit der Urzustand des Daseins sei und daß Gott Licht aus der Finsternis geschaffen habe. Würde diese Interpretation stimmen, hieße dies, die Finsternis sei die eigentliche, ursprüngliche Realität, und Licht sei aus der Dunkelheit entstanden. Gott wäre hier dann „Luzifer“, der „Lichtbringer“! Wenn wir betrachten, wie viel Blutvergießen (in Form von Menschenverfolgung, Inquisition, Kreuzzügen, Völkermorden auf allen Kontinenten, usw.) durch die absolutistischen, selbstherrlichen Bibelverfechter verursacht worden ist, zeigt sich, daß aus Dunkelheit nie Licht entsteht und daß Dunkelheit nicht der Urzustand der Realität sein kann.

Bezeichnenderweise widerspricht der hebräische Originaltext der obigen Interpretation von Anfang an, denn er beginnt mit den zwei Wörtern
bereshit bara. Im Hebräischen stellt jeder Buchstabe auch eine Zahl dar. Die zwei Auftaktwörter der Torah und der gesamten Bibel beginnen mit B, und B steht für die Zahl 2. Am Anfang der Genesis erscheint also zweimal die Zahl 2. Genesis 1.1. beginnt mit 2 – 2! Im numerologisch (kabbalistisch) geprägten Hebräischen ist dies bestimmt kein Zufall, sondern entspricht der weisen Absicht der Verfasser.

Stellen Sie sich vor: Sie öffnen ein heiliges Buch, und das erste, was Sie sehen, ist nicht etwa eine 1, sondern eine große 2, ja sogar eine doppelte 2! Dadurch, daß Genesis 1.1. mit 2 - 2 beginnt, sollen offensichtlich zwei Botschaften signalisiert werden.

Erstens: Dieses Buch beginnt mit Akt 2! Der Sieben-Tage-Schöpfungsakt ist nicht die primäre, sondern die „sekundäre“
Schöpfung. Die zweifache 2 beinhaltet auch die Zahl 4, die Zahl der Materie. Was die Genesis beschreibt, ist nicht die Urschöpfung, sondern die untergeordnete Schöpfung innerhalb des materiellen Universums.

Eine ausführliche Beschreibung der primären und der sekundären Schöpfung findet sich in den altindischen Sanskrit-Schriften, insbesondere in den Puranas. Die Sanskrit-Begriffe für die primäre und die sekundäre Schöpfung lauten
sarga und visarga. Die Sanskrit-Wortwurzel sarg- findet sich auch im griechischen Wort sarx, das „Fleisch; die verdichtete Materie des Lebens, des Logos“, bedeutet. Wenn es am Anfang des Johannes-Evangeliums heißt: „Und das Wort wurde Fleisch“, lauten die entsprechenden griechischen Begriffe: „Und logos wurde sarx!“ (Eine ausführliche Beschreibung der altindischen, „vedischen“ Genesis findet sich in meinem Buch „Gott und die Götter“.)

Die biblische Genesis sagt also nicht: Am Anfang war die Finsternis, und Licht entstand aus der Finsternis. Vielmehr besagt sie, daß innerhalb des bereits geschaffenen Ur-Universums zunächst Finsternis herrschte und daß der Schöpfergott Licht in diese Finsternis brachte. Dies alles geschah
nicht „aus dem Nichts“, wie auch die jüdische Torah-Ausgabe „Etz Hayim“ (S. 4) bestätigt:

Der hebräische Stamm des Wortes, das als „schaffen“ übersetzt wird, wird in der Bibel nur für göttliches Schaffen verwendet. Er weist darauf hin, daß das erschaffene Objekt einzigartig ist, daß es für sein Entstehen allein von Gott abhängig ist und daß es von den Menschen nicht reproduziert werden kann. Das Verb bedeutet nie „Erschaffung aus dem Nichts“.

Die Kreationisten, die behaupten, das erste Kapitel der Genesis beschreibe den absoluten Uranfang, eine „Schöpfung aus dem Nichts“, sagen damit, daß aus dem Nichts zuerst die Finsternis entstanden sei. Dies entspricht jedoch dem Blickwinkel eines Standpunktes, der sich selbst innerhalb der Finsternis befindet, vergleichbar mit jemandem, der in einem dunklen Raum sitzt und sagt: „Es war finster, wüst und leer, und da waren Mauern, die aus dem Nichts entstanden.“ Die Genesis sagt jedoch etwas ganz anderes und macht dies vom ersten Buchstaben an deutlich.

Wer die Autorität der Bibel vom allerersten Wort an aufrecht erhalten will, sollte diese Zusammenhänge kennen – was bei den Bibel-Kreationisten leider nicht der Fall ist.

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Fazit

Der biblische Young-Earth-Kreationismus erweckt den Eindruck, die einzige Alternative zum Darwinismus sei der Glaube an die Sieben-Tage-Schöpfung (inkl. Adam und Eva) vor siebentausend Jahren. Diese Ansicht wird von der Bibel selbst nicht bestätigt, denn sie entspringt der falschen Ansicht, die beiden Schöpfungsberichte, niedergeschrieben in Gen 1 und Gen 2, entsprängen derselben Quelle, seien zusammenhängend und identisch – und die Geschichte von Adam und Eva sei im anthropologischen Sinn historisch.

Durch diese dogmatische Kreationismusform werden viele Menschen von jeder Evolutionskritik abgeschreckt, und den Verfechtern des Darwinismus fällt es leicht, anhand des Young-Earth-Kreationismus jegliche Evolutionskritik lächerlich zu machen und dadurch von den wirklich relevanten Argumenten abzulenken. Die Kreationisten sind also indirekt sehr hilfreiche Unterstützer des Materialismus, was nicht wirklich überrascht, denn im Kampf der Extreme vertreten beide Lager immer nur halbe Wahrheiten.

Die säkularen Kritiker des Christentums können heute leicht beweisen, daß das Alte Testament in historischer Hinsicht viele Mängel und Erfindungen („Legenden“) enthält. Wenn die Bibel-Kreationisten uneinsichtig an ihrem fundamentalistischen Standpunkt festhalten, können sie den berechtigten Einwänden nicht richtig begegnen. Denn das Alte Testament wurde von den Verfassern nicht als historischer und erst recht nicht als kosmologischer Text konzipiert. Mit ihren Theorien werden die Bibel-Kreationisten der eigenen Heiligen Schrift nicht gerecht, denn sie geben diese als etwas aus, was sie gar nicht ist und auch gar nicht sein will.

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