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Die Wissenschaft der Involution

Sprache und Evolution

Wird die Theorie Darwins durch die Sprachwissenschaft widerlegt?

Alte Sprachen wie Sanskrit oder Griechisch müssten laut Evolutionstheorie primitiver als moderne Sprachen wie Deutsch oder Französisch sein. Sind sie aber nicht. Im Gegenteil: Je älter eine Sprache, desto komplexer ist sie. Die Evolution vom grunzenden Affen zum immer komplexer sprechenden Menschen scheint fraglich.

Von Martin Capeder.
Erschienen in
2021 – Zeitschrift für Gesellschaftsfragen, November 2007.

Am Latein faszinierte mich die beinah mathematische Ordnung und Rationalität: Latein hat ungleich mehr Struktur und insofern „Intelligenz“ als unsere modernen Sprachen. Das macht die Sprache auch relativ schwierig zu erlernen: Selbst nach Jahren des Studiums liest sie sich nicht so mühelos, wie wir das vielleicht von Englisch oder Französisch gewohnt sind. Geschweige Latein fliessend zu sprechen; eine Fertigkeit, die ich bisher bei niemandem angetroffen habe.

Eine ähnliche Erfahrung machte ich später mit dem Griechischen: Wie vom Deutschen zum Latein, empfand ich auch hier, vom Latein zum Griechischen, nochmals einen Sprung, eine erneute Steigerung an Ordnung und Rationaliät. Die Morphologie ist hier noch vollkommener, der Ausdruck eleganter und raffinierter. Griechisch ist von geradezu uranischer Transparenz. Dass die grössten Werke der Philosophie in dieser Sprache gedacht und geschrieben worden sind, wundert mich nicht: Griechisch ist in der Art und Weise, die Welt abzubilden, das Sein zu spiegeln, selbst schon Philosophie. Die Genialität der Alten Griechen war auch die Genialität ihrer Sprache.

Nach dem Griechischen führte mich mein Weg weiter nach Osten zu den Arischen Indern und ihrer uralten Hochsprache, dem Sanskrit. Was mir begegnete, war – ich kann es kaum anders sagen – ein intellektueller Gigant: Sanskrit ist von solcher Komplexität und zugleich rationaler Durchsichtigkeit, dass es diesbezüglich alle anderen Sprachen, einschliesslich Griechisch und Latein, in den Schatten stellt. Ich zähle: drei Numeri (neben Singular und Plural noch den Dual), acht Kasus (neben den uns bekannten Nominativ, Akkusativ, Dativ und Genitiv noch Vokativ, Ablativ, Instrumental und Lokativ), etwa zwanzig Deklinationsschemata (unser Deutsch hat deren zwei), drei genera verbi (neben dem Aktiv und Passiv noch das Medium), zehn Konjugationsklassen etc. etc. Man hat das Gefühl, dass hier alles stimmt, alles da und vorhanden ist: Eine nahezu perfekte Sprache, eine Sprache von so vollkommener Architektur, dass sie geradezu geplant oder konstruiert und daher für unser heutiges Empfinden beinah artifiziell wirkt. – Soviel zu meinen Erfahrungen mit den klassischen Sprachen.

So sehr sich Latein, Griechisch und Sanskrit auch unterscheiden: die Sprachwissenschaft hat gezeigt, dass diese Sprachen alle verwandt sind und zur grossen Familie der
Indogermanischen Sprachen gehören. Deren Stammbaum hat im wesentlichen folgende Mitglieder: das Lateinische mit Französisch, Italienisch, Spanisch, Katalanisch, Portugiesisch, Rumänisch und Rätoromanisch; das Griechische mit seiner Vielfalt an Dialekten; das Arische mit Indisch und Iranisch; das Slawische mit Russisch, Ukrainisch, Polnisch, Tschechisch, Slowakisch, Bulgarisch, Slowenisch und Mazedonisch; das Albanische mit Toskisch und Gegisch; das Keltische mit Irisch, Walisisch und Bretonisch sowie das Germanische mit Isländisch, Norwegisch, Schwedisch, Dänisch, Holländisch, Englisch und Deutsch. Fehlt uns noch der Urahn: Sämtliche indogermanischen Sprachen lassen sich nämlich auf eine Ursprache, das Indogermanische, zurückführen, aus welchem alle anderen indogermanischen Sprachen sich im Laufe der Zeit gebildet haben. Mindestens nach Ansicht der Indogermanisten. Denn das Indogermanische ist hypothetisch: Es sind bisher keine Zeugen seiner Existenz gefunden worden; keine Inschriften, keine Papyri, keine Erwähnungen. Das gleiche gilt für die Indogermanen selber. Trotzdem: Was verwandt ist, braucht einen gemeinsamen Vorfahren. Und so begnügt man sich damit, diesen zu konstruieren: Das Indogermanische ist eine aus seinen Abkömmlingen erschlossene Sprache. Und so glaubt man heute zu wissen, wie unsere Urahnen gesprochen haben, und kann deren Sprache sogar erlernen. Doch Vorsicht: Sie ist rasend kompliziert!

Ein kleines Zwischenspiel: Im Jahre 1859 veröffentlichte Charles Darwin sein Werk
Origin of Species. Er zeigte, dass es keinen Gott noch sonst irgendetwas „Übernatürliches“ zur Erklärung des Lebens und seiner Vielfalt braucht. Die Arten haben sich gemäss Darwins Theorie allein mittels der natürlichen Mechanismen von Mutation und Selektion aus den primitiven Einzellern über Fische, Amphibien und Säuger zu den Primaten und schliesslich zum Menschen entwickelt. Im zwanzigsten Jahrhundert wurde die Darwinsche Theorie der Artenevolution wesentlich erweitert: Mit der Theorie des Urknalls, der Theorie der Planetenentstehung und der Theorie der chemischen Evolution als Vorstufe der biologischen Evolution hat man das umfassende Bild eines Kosmos gezeichnet, der sich allein und ausschliesslich aufgrund physikalischer Gesetzmässigkeiten durch zufällige Anordnung von Materieteilchen selbst organisiert. Der Mensch und seine Kultur ist das Ergebnis zufälliger Konglomeration von Partikeln. Eine ungeheure, eine monströse und für jedes natürliche Empfinden auch irgendwie lächerliche und absurde Behauptung! Und doch: Das Theoriegebäude ist „offiziell anerkannt“ und wird an den Schulen und Universitäten als Wahrheit gelehrt. Was aber nicht gelehrt wird: Die Theorie wird durch den Befund der Tatsachen nicht annähernd in dem Masse gestützt, wie man das seitens ihrer Befürworter und Vertreter gerne behauptet. Sie ist von rein hypothetischer Natur. Mit den Fakten nimmt man es nicht besonders genau, ist doch die Logik eine ganz andere: Es hat eine mechanistische Evolution von Kosmos und Leben gegeben, weil es eine mechanistische Evolution von Kosmos und Leben gegeben hat. Was denn sonst, um Gottes Willen!? Es gibt nun mal keine Alternative, möchte man nicht ins „finstere Mittelalter“ zurückfallen. Und was heute nicht bewiesen ist, wird morgen bewiesen sein. Also dürfen wir schon heute mit ruhigem Gewissen sagen: „Ja, es war so!“

Zurück zur Sprache. Gehen wir einmal davon aus, dass die menschliche Spezies tatsächlich durch zufällige Genmutationen und Selektion des Lebensfähigen aus Primaten entstanden ist, der Mensch also vom Affen abstammt. Dann muss auch die menschliche Sprache von der Affensprache abstammen. Die menschliche Sprache müsste sich aus Affenlauten zur relativen Komplexität der modernen Idiome entwickelt haben. Ältere Sprachstufen müssten, wie man das auch von älteren Kulturstufen behauptet, entsprechend primitiver sein. Kurzum:
Der empirische Befund müsste eine Evolution der menschlichen Sprache zeigen. Die Ergebnisse der Indogermanistik weisen aber in eine andere Richtung: Ältere Sprachstufen sind durchwegs komplexer als jüngere. So finden sich etwa im Latein Reste des Lokativs und Instrumentals. Das Griechische besitzt noch Reste des Duals. Man kann davon ausgehen, dass das „Urlatein“ bzw. das „Urgriechisch“, beides Sprachen, die mangels Zeugnissen unbekannt sind, im vollumfänglichen Besitze dieser Formen waren. Gestützt wird diese Vermutung durch die Tatsache, dass im Sanskrit, das bekanntlich älter ist als Latein und Griechisch, die besagten Formen noch intakt sind. Das Sanskrit selber ist aber bereits eine Zerfallsform einer noch älteren Sprache, des Vedischen, dessen Morphologie noch vollständiger ist. „Sanskrit“ heisst denn auch nichts anderes als „zurechtgemacht“ (sams-krtam = con-fectum): Der Grammatiker Panini hat die damals bestehende Sprache festgelegt, um sie vor dem weiteren Verfall zu bewahren. Nicht anders war es bei Griechisch und Latein: Auch sie wurden irgendwann konserviert und in dieser Form an die Nachwelt überliefert. Doch ist Grammatik bekanntlich nicht jedermanns Sache: So haben nach dem Ende des Römischen Reiches die Barbarenvölker das Latein weiter zu den lateinischen Sprachen zerredet. Zur Illustration: Aus klassisch egomet ipsimus (ich selbst in Person) entstand metipsimus, dann medisme, dann meisme, dann mesme und schliesslich même. „Sprechökonomie“ möchte ich das nennen: Warum sich so kompliziert ausdrücken, wenn es auch einfacher geht? Kurzum: Die modernen indogermanischen Sprachen sind allesamt Zerfallsformen älterer Hochsprachen, die wiederum auf eine allen gemeinsame Ursprache, das Indogermanische, als deren Archetyp zurückgehen. Es gab keine Evolution der Sprache, sondern eine Devolution: Die Sprachen haben sich im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende durch den Gebrauch abgeschliffen, ähnlich einem behauenen Stein, den man in einen Fluss geworfen und den erodierenden Kräften der Strömung überlassen hat. Die einst vorhandenen Muster sind weitgehend verschwunden. Und beinah könnte man behaupten, dass die indogermanischen Sprachen durch den Gebrauch zu Affenlauten geworden sind, statt sich aus diesen entwickelt zu haben. Oder ist etwa das französische même einem Tierlaut nicht deutlich näher als das lateinische egomet ipsimus?

Die Frage nach der Herkunft der indogermanischen Ursprache selber bleibt freilich unbeantwortet. Wäre es denkbar, dass diese sich aus der Affensprache entwickelt hat? Dann kommen wir aber in einige Schwierigkeiten: Warum entwickelt sich die Sprache erst zu solcher Komplexität, um dann den grössten Teil der erworbenen Muster wieder aufzugeben? Wenn sich das Indogermanische aus niederen Sprachstufen entwickelt hat, warum ist es dann nicht bei diesen niederen Stufen geblieben, wo doch die Erfahrung hinlänglich zeigt, dass eine relativ simple Sprache zur Verständigung völlig ausreicht? Und schliesslich: Wie vertragen sich die erkannten Prinzipien der
Sprechökonomie und der Spracherosion überhaupt mit einer Evolutionstheorie der Sprache? – Nein, die menschliche Sprache kann nicht durch Evolution entstanden sein. Ihre Herkunft bleibt ein Rätsel. Und der Mensch selber? Soll er sich etwa aus Affen entwickelt haben, wobei irgendein XY (war es vielleicht Prometheus?) ihm noch eine Sprache verpasst hätte? Im Klartext: Ohne Evolution der Sprache wird auch die Evolution des Menschen sinnlos.

Seit Darwin wird die Evolutionstheorie vorausgesetzt, die Fakten der Archäologie – freilich nur die passenden! – in ihrem Sinne gedeutet und das ganze Paket als Wahrheit verkauft. Es ist an der Zeit, die materialistischen Theorien zu überdenken, die Fakten – und zwar alle! – neu zu interpretieren und eine Sicht von Mensch und Kosmos zu entwickeln, die wirklich adäquat ist.

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