Site logo
Die Wissenschaft der Involution

Licht wirft keinen Schatten
Wie unterschiedet man theistische und atheistische Weltbilder

Licht wirft keinen Schatten, so lautet der Titel von Armin Risis Buch, das er „ein spirituell-philosophisches Handbuch“ nennt. Der folgende Artikel faßt die zentralen Inhalte dieses Buches zusammen. (Erschienen in der Zeitschrift Tattva Viveka, Nr. 25, Frühjahr 2005)

Die Suche nach „Realität“
Die Symbolik von Licht und Schatten
Materialismus
Holismus: Deismus und Pantheismus
Dualismus
Atheistischer Monismus
Atheistische Esoterik: die esoterische Form des atheistischen Monismus
Vom atheistischen zum theistischen Monismus
Theistischer Monismus: die Brahman-Erkenntnis
Spirituelle Gotteserkenntnis
Das Mysterium des gleichzeitigen Eins- und Verschiedenseins
Was ist Gottes Wille?


Die Suche nach „Realität“

Jeder Mensch muß sich wieder fragen: Wo will ich meine Energie, meine Interessen, meine Zeit und mein Geld investieren? Natürlich möchte jeder Mensch für etwas leben, das Sinn macht und realistisch ist. Wer möchte schon sein Leben einer Illusion, einer Verführung oder einer Selbsttäuschung weihen? Deswegen muß jeder Mensch für sich entscheiden: Was ist für mich Wahrheit? Was ist für mich Realität? Und das ist immer auch eine philosophische Frage.

Mit anderen Worten: Alles, was in unserer Welt und auch in unserem Leben vor sich geht, ist von
Philosophie abhängig. Was auch immer die Menschen tun, wird von Weltbildern bestimmt: von Ideologien, Glaubenssystemen und persönlichen Überzeugungen.

Aber was ist
Philosophie? Eine mögliche Definition lautet: Philosophie ist die Suche nach einer Definition von Realität. Wenn Philosophie mit verbindlichen Anschauungen ausformuliert wird, entsteht Ideologie, ein System von Lehren und Doktrinen, das für möglichst alle Lebensbereiche Antworten geben will und entsprechende praktische Richtlinien mit sich bringt.

Wenn man sich die Frage nach der Realität nicht bewußt stellt, folgt man ebenfalls einem Weltbild, dann einfach dem allgemein vorherrschenden. Für viele Menschen ist der Alltag die
Realität: die Erfordernisse des Geldverdienens, die täglichen Pflichten und Freuden, der Wunsch nach Freizeit und Erholung. Wenn man philosophisch nachfragt, bekommt man meistens Antworten wie „Realität ist das, was ich sehe und wahrnehme“ oder „das, was ich fühle“ oder „das, was ich verstandesmäßig erkennen kann“.

zurück

Die Symbolik von Licht und Schatten

In unserer Erfahrungswelt sind
Licht und Schatten perfekte Symbole, die uns helfen können zu verstehen, was Realität und was nicht Realität ist. Licht hat ein eigenes, von den Schatten unabhängiges Dasein und symbolisiert Realität, Schatten die Relativität. Licht symbolisiert das Absolute, das Reelle, das Spirituelle, die Einheit, Schatten das Relative, das Nichtreelle, das Materielle, die Zweiheit. Denn nur dort, wo sich etwas dem Licht entgegenstellt, d. h. sich vom Licht entzweit, entsteht Schatten. Licht selbst wirft keinen Schatten.

Laut vielen alten Mysterientraditionen und Offenbarungslinien leben wir heute in einem „Zeitalter der Dunkelheit“. Die indischen Quellen sprechen von einem
Kali-yuga, einem Zeitalter (yuga) der Spaltung. Das Sanskritwort kali kommt vom Verb kal, das trennen, (in feindliche Lager) aufspalten und auch verfolgen bedeutet. Dieser Begriff sollte nicht mit dem Namen der bekannten indischen Göttin Kālī verwechselt werden, denn dieser Name ist abgeleitet vom Sanskritwort kāla, das Zeit bedeutet. Kālī ist die Personifikation der Zeit, Kali ist die Personifikation der trennenden und spaltenden Kraft. Für letzteres kennen wir in unseren westlichen Sprachen ein vielsagendes Wort, das genau dasselbe bedeutet: diabolisch. Dieses Wort stammt aus dem Griechischen und setzt sich zusammen aus dia-, auseinander, gegeneinander, gegenüberstehend, und ballein, werfen. Das Diabolische ist das, was die Menschen auseinandertreibt und zu Feinden macht und ist in diesem Sinn ein Synonym für Kali. Demzufolge leben wir also in einem Zeitalter, in dem das Diabolische vorherrscht.

Ein Blick in die heutige Welt zeigt, daß die alten Quellen nicht unrecht hatten, als sie unsere Zeit als ein „Zeitalter der Dunkelheit“ bezeichneten. Dies bedeutet, daß wir (momentan noch) in einem Zeitalter leben, in der die Spaltung – das Diabolische, die symbolische
Dunkelheit – vorherrschend ist. Wir sind also gewarnt, daß das, was heute vorherrschend ist und am lautesten propagiert wird, aus dem Bereich der Dunkelheit stammen könnte, sei es in der Politik, in der Wirtschaft, in der Finanzwelt, in der Wissenschaft oder in der Forschung und nicht zuletzt auch in den Religionen und in der Esoterik. Das heißt nicht, daß alles Vorherrschende von dunklen Mächten inspiriert ist. Wo Schatten ist, da ist auch Licht. Wir müssen unterscheiden.

Aus philosophischer Sicht betrachtet, haben die dem „Zeitalter der Dunkelheit“ entsprungenen Ideologien und Lehrmeinungen alle ein gemeinsames Charakteristikum, nämlich: Sie wollen
Licht (Realität) von der Dunkelheit (Relativität) her definieren. Dies ist jedoch nie möglich, denn Licht ist nicht einfach gleich Schatten. Licht ist auch nicht die Summe aller Schatten und nicht einfach das Gegenteil von Schatten und auch nicht die Abwesenheit von Schatten.



Die verschiedenen Weltbilder können mit den Stufen auf einer Treppe verglichen werden. Eine Treppe besteht aus unterschiedlichen Stufen, und jede Stufe hat die Eigenschaft, daß wir sie zum Hinaufgehen oder zum Hinuntergehen verwenden können. Ebenso kann man jedes Weltbild in einer gottzugewandten oder gottabgewandten Weise leben. Am Anfang mögen beide Richtungen sehr ähnlich aussehen, da sie von denselben Grundannahmen ausgehen; aber eine Untersuchung der Konsequenzen zeigt, daß sie diametral auseinandergehen.

zurück

Materialismus

Eine erste Variante, wie man Licht von der Dunkelheit her definieren kann, lautet: Licht = Schatten. In dieser symbolischen Ausformulierung ist es natürlich klar, daß hier etwas nicht stimmt. Wir wissen: Licht ist nicht dasselbe wie Dunkelheit.
(1) Dennoch besagt das heute vorherrschende Weltbild genau das: Relativität = Realität. Wir kennen dies vor allem in der wissenschaftlichen Ausformulierung: „Es gibt nur das materiell Wahrnehmbare. Alles, was im gesamten Universum existiert, auch Leben und Bewußtsein, läßt sich mit den Gesetzen der Wissenschaft erklären. Am Anfang war die Materie, dann entstanden Galaxien und Sonnen mit ihren Planeten, wie z. B. unser Sonnensystem, in dem auf der Erde, als sich die glühende Kruste abkühlte, aus der anorganischen Urmaterie zufällig erste organische Bausteine entwickelten. Als sich diese Bausteine zusammenfügten und eine genügende Komplexität aufwiesen, entstanden die ersten einzelligen Lebewesen und aus diesen die ersten Pflanzen und die ersten Tiere. Aus einigen Fischen entstanden Amphibien, aus einigen Amphibien gingen Reptilien hervor und aus einigen Reptilien Säugetiere – alles durch eine Akkumulation zufälliger kleiner, nützlicher Genmutationen. So entstanden die Primaten und die ersten hominiden Urformen. Als diese affenähnlichen Wesen dann ein genügend großes Gehirn entwickelten, entstand das Bewußtsein. Das heißt, an einem bestimmten Punkt erlangte das Gehirn des Urmenschen eine Komplexität, die eine Selbstwahrnehmung (= Bewußtsein) ermöglichte.“

Was hier so modern und wissenschaftlich klingt, ist nichts anderes als das Weltbild des Materialismus. Es besagt, daß Materie die einzige Realität ist:
Alles ist Materie; es gibt nur Materie. Gemäß diesen Prämissen ist Bewußtsein ein Produkt des Gehirns. Genau dies besagt auch die Evolutionstheorie: Als der tierhafte Urmensch ein Gehirn entwickelte, das genügend komplex war, begann er plötzlich zu denken – und kam sogleich auf dumme Gedanken, vor allem auf den, er sei kein Tier! Gemäß dem materialistischen Weltbild muß das Wesen Mensch wie folgt definiert werden: „das Säugetier, das meint, es sei kein Tier“. Oder noch prägnanter: „das Tier, das meint, es habe einen freien Willen“. (Denn gemäß der modernen Neuropsychologie gibt es keinen wirklich freien Willen.)

Wer glaubt heute nicht, daß der Mensch vor einer Million Jahren primitiv und tierisch gewesen ist und daß dieses urmenschliche Säugetier aus niedrigeren Lebensformen hervorgegangen ist? Dieses Weltbild, das heute kaum mehr angezweifelt wird, entspringt dem Materialismus. Es ist ein Glaubenssystem, und zwar ein völlig unbewiesenes. Niemand hat je gesehen, wie aus einem Amphibium ein Reptil entsteht oder aus einem Reptil ein Säugetier. Ja es gibt nicht einmal ein theoretisches Modell, das diesen Vorgang mit allen Zwischenstufen nachzeichnen könnte. Die Vorstellung, daß ein Reptil allmählich zu einem Säugetier wird, ist geradezu lachhaft, wenn man sich diese Wesen vorzustellen versucht: 90 % Reptil, 10 % Säugetier; 80 % Reptil, 20 % Säugetier, usw.

zurück

Holismus: Deismus und Pantheismus

Wenn man Materie für die einzige Realität hält, bedeutet dies nicht, daß man gezwungenermaßen einen engen, beschränkten Horizont hat. Es bedarf nur einer offengeistigen Naturbetrachtung, um zu einem umfassenderen Weltbild zu kommen, das hier – in der nächsten Stufe – als
Holismus umschrieben werden könnte. Holismus, abgeleitet vom griechischen Wort hólos, ganz, gesamt, umfassend, ist ein Sammelbegriff für die verschiedenen Formen von holistischen bzw. ganzheitlichen Weltbildern, in denen die materielle Erscheinungswelt als Ausdruck einer der Materie innewohnenden Gesetzmäßigkeit und Harmonie gesehen wird. In der Symbolik von Licht und Schatten besagt der Holismus: „Licht ist nicht einfach gleich Dunkelheit. Licht ist die Gesamtheit aller Dunkelheit in allen Schattierungen.“ Realität wird hier als die universale und allumfassende Ganzheit der Materie gesehen, wobei die ihr innewohnende Gesetzmäßigkeit und Selbstorganisation als Geist oder kosmische Intelligenz bezeichnet wird. In der Personifikation wird hier manchmal auch vom Baumeister des Universums gesprochen.

Der Holismus ist eine Stufe, von der man, wie bei allen Stufen, in eine gottzugewandte oder gottabgewandte Richtung gehen kann. Die gottzugewandte Form des Holismus ist der Pantheismus, die gottabgewandten Form der Deismus. Diese Begriffe werden hier für die philosophische Unterscheidung verwendet. Damit soll jedoch nicht gesagt sein, daß jeder, der sagt, er folge dem Deismus, automatisch in eine gottabgewandte Richtung geht. (Säkulare Eingeweihtenorden, wie z. B. die Freimaurer, bezeichnen sich offiziell als Vertreter des Deismus.) Man kann auch als „Deist“ gottzugewandt sein; eine solche Person wäre gemäß der hier dargelegten Systematik dann einfach ein Pantheist.

Dennoch ist es nicht falsch, der gottabgewandten Richtung den Begriff
Deismus zuzuordnen, denn er bedeutet wörtlich Gottismus, abgeleitet vom lateinischen Wort deus, Gott, und das Lateinische hängt historisch mit dem römischen Reich (imperium romanum) und somit auch mit dem Imperialismus zusammen – der ja auch heute noch die Weltpolitik bestimmt (novus ordo seclorum, neue Weltordnung, wie es in einem scheinbar fehlerhaften Latein – seclorum statt saeculorum – auf der 1-$-Note nachzulesen ist).

Die deistische Form des Holismus besagt: „Licht ist die Totalität aller Schatten; wenn man die Gesamtheit und Einheit der Dunkelheit erkennt, ist man im Licht“. Realität ist hier also gleichbedeutend mit der Totalität aller Materie und der ihr innewohnenden Gesetze, und Gesetze wirken immer mechanisch (quantenmechanisch und in einem geistig-mechanischen Sinn). Die Gesetze von Aktion und Reaktion werden in der holistischen Interpretation nicht mehr nur auf die Physik, sondern auf das gesamte Dasein angewendet – was natürlich richtig ist. Einige sprechen hier von
göttlicher Bestimmung, andere vom Gesetz des Karma. Die Frage ist nur, ob das jeweilige Verständnis von Karma wahrhaft ganzheitlich ist oder nur halbwahr. Letzteres ist bei der gottabgewandten Form des Holismus der Fall. Dort wird gesagt:

„Alles geschieht nach dem Gesetz von Aktion und Reaktion. Es gibt keinen Zufall. Was im Leben geschieht, ist eine Reaktion auf das, was man mit den eigenen Aktionen ins Leben gerufen hat. Wenn jemand reich oder arm ist, entspricht dies den kosmischen bzw. deistischen Gesetzen, d. h. den
Gesetzen Gottes. Wenn wir also einflußreich sind und globale Macht haben, entspricht dies Gottes Gesetz, ebenso wie unsere Aufgabe, mit dieser Macht auf der ganzen Welt für Friede und Ordnung zu sorgen. Denn nichts ist möglich ohne die entsprechende Ursache. Die Tatsache, daß wir z. B. einen Krieg anfangen können, entspricht also ebenfalls den göttlichen Gesetzen, genauso wie das Schicksal derer, die im Krieg zu leiden haben. Wenn gewisse Menschen leiden müssen, ist das ihr Karma, genauso wie es unser Karma, unsere Bestimmung, ist, mächtig zu sein. Wäre es nicht das Karma der betroffenen Völker, Opfer zu sein, könnten wir nicht Krieg gegen sie führen. Die Tatsache aber, daß wir es können, zeigt, daß es ihr Karma ist und daß alles den göttlichen Gesetzen entspricht, selbst wenn gewisse Leute meinen, dem sei nicht so. Alles ist gut so, wie es ist.“

Was in diesem Gedankengang geäußert wird, ist nicht unwahr, sondern halbwahr. Karma wird hier mit
Prädestination gleichgesetzt, und das ist eine verhängnisvolle Einseitigkeit (= Halbwahrheit). Das Entscheidende, was hier übersehen wird, geht aus den weiteren Ausführungen hervor.

Die gottzugewandte Form des Holismus ist der Pantheismus, wörtlich
All-Gott-Sicht oder Alles zusammen ist Gott: Gott ist das Universum, Gott wird in der Natur gesehen, Gott ist das Leben und die im Leben wirkende Harmonie, weshalb man der Natur und jeglichem Leben mit höchstem Respekt begegnet.

zurück

Dualismus

Eine andere Möglichkeit, Realität (
Licht) zu definieren, lautet: „Licht ist das Gegenteil von Dunkelheit. Licht und Dunkelheit sind zwei parallele Realitäten, zwei voneinander unabhängige Existenzen; Dunkelheit ist die andere Seite des Lichts; es gibt kein Licht ohne Dunkelheit.“

Auch das ist eine unvollständige Definition von Licht. Der Dualismus verabsolutiert die Dualität und führt daher zu einer Frontenbildung, denn die dualistischen Religionen und Machtorganisationen sind allesamt überzeugt, sie seien Vertreter des Lichtes und alle anderen, die nicht dasselbe glauben wie sie, seien Mächte der Dunkelheit und des
Bösen. Ein Beispiel hierfür sind die christlichen Kirchen, die während vielen Jahrhunderten im Namen Gottes den Teufel, d. h. alles Nichtkirchliche, bekämpften und auszurotten versuchten. Dieser Dualismus führte zur Bildung einer direkten Gegenmacht, bestehend aus denen, die von der Kirche verfolgt und verteufelt worden waren. In den Augen der vielen Millionen von Opfern stellte die Kirche eine Macht des Teufels dar. Im Mittelalter mußten sie sich geheim formieren und konnten nur im Untergrund tätig sein. Heute kennen wir diese Strömungen als die gnostisch-metaphysischen, okkulten Einweihungsorden und Logenverbände. Obwohl zwischen diesen Lagern mittlerweile ein scheinbarer Friede herrscht, streben beide Seiten, sowohl die religiöse als auch die säkulare, nach Vorherrschaft, denn beide sind nach wie vor überzeugt, daß der Gott der Gegenseite der falsche sei. Daß die fundamentalistischen Religionen dies glauben, ist bekannt. Weniger bekannt ist, daß auch im Okkultismus und in der Esoterik ähnliche Strömungen existieren. Ein Beispiel hierfür ist die Theosophie, wie sie von Helena Blavatsky begründet wurde. In ihrem Werk Die Geheimlehren sagt sie mehrfach, daß aus ihrer Sicht der Gott des Alten Testaments ein Teufel ist und daß der verteufelte Satan (Lucifer) eigentlich das höchste Lichtwesen, Gott, ist: „So wächst ,Satan‘, sobald er nicht mehr in dem abergläubischen, dogmatischen, unphilosophischen Kirchengeiste betrachtet wird, zu einem großartigen Bilde empor von einem, der aus einem irdischen einen göttlichen Menschen macht, der […] ihn befreit von der Sünde der Unwissenheit, somit vom Tode. […] Es ist Satan, welcher der Gott ist unseres Planeten und der Einzige Gott, und dies ohne irgendwelche metaphorische Anspielung auf ihre Schlechtigkeit und Verkommenheit.“ (2)

In vielen esoterischen Kreisen wird erwartet, daß dieser
Einzige Gott in der heutigen Wendezeit als göttlicher „Friedensbringer“ erscheinen oder einen Weltenlehrer bzw. Messias als Stellvertreter ermächtigen wird. Der Gedanke dahinter ist immer der, daß das Licht die Dunkelheit besiegen und vernichten muß, sei dies durch eine apokalyptische Endzeitschlacht oder durch ein luziferisches Lichtreich. Der Dualismus läuft also immer auf einen Monismus hinaus, denn auch die Vertreter des Dualismus wollen, daß letztlich die gesamte Dunkelheit beseitigt und durch die Einheit des Lichtes, ihres Lichtes, überwunden wird.

zurück

Atheistischer Monismus

Der
Monismus, von griech. mónos, eins, einzig, allein, besagt, alles Seiende gehe letztlich auf eine einzige Urenergie bzw. Ureinheit zurück. Alles ist eins.

Auf der philosophischen Treppe, die von der Dunkelheit ins Licht führt, stellt der Monismus die höchste Stufe dar, denn er kommt dem Licht am nächsten, kann aber auch am weitesten vom Licht wegführen. Während alle vorherigen Stufen mehr oder weniger atheistisch waren, ist die gottzugewandte Form des Monismus theistisch. (Wir werden diese Begriffe noch näher definieren.) Wir müssen also zwischen einem atheistischen und einem theistischen Monismus unterscheiden.

Da heute, im
Zeitalter der Dunkelheit, der atheistische Monismus vorherrschend ist, wollen wir zuerst ihn näher betrachten, denn er existiert in zwei verschiedenen Formen. Die eine haben wir bereits beschrieben, nämlich den Materialismus, denn er ist letztlich ebenfalls ein Monismus. Er sagt, alles Existierende, auch Leben und Bewußtsein, sei aus einer einzigen Urenergie, aus der Materie, hervorgegangen. Dieser materialistische Monismus definiert Realität als das „Universum“, „die Gesamtheit/Einheit aller Materie“. Was bedeutet das konkret? Lassen wir einen der führenden Evolutionsbiologen der heutigen Zeit zu Wort kommen, Prof. Richard Dawkins. In einem Interview mit dem Magazin FOCUS (52/1996, S. 145) sagte er:

„Das Universum, das wir beobachten, hat genau die Eigenschaften, mit denen man rechnet, wenn dahinter kein Plan, keine Absicht, kein Gut oder Böse steht, nichts außer blinder, erbarmungsloser Gleichgültigkeit.“

Und er hat recht! Das Universum als Gesamtheit der Materie ist eine neutrale Energie. Wenn Realität oder Gott als
Totalität aller Energie definiert wird, dann ist Realität bzw. Gott ohne Wille, ohne Absicht, ohne Maßstab für Gut und Böse und erst recht ohne Erbarmen. Energie wirkt mit blinder, erbarmungsloser Gleichgültigkeit, eine knallharte Formulierung, die als Seitenhieb gegen die Religionen gedacht ist, die alle an einen Gott der Liebe und der Gnade glauben. Gemäß dem Weltbild des materialistischen Monismus ist ein solcher Gott eine Illusion. Realität oder Gott ist nichts anderes als neutrale Energie.

Hier an diesem Punkt ist der materialistische Monismus nicht mehr bloß ein Materialismus, wie er auf der untersten Stufe beschrieben wurde, sondern er wird
esoterisch. Als atheistischer Monist ist man nicht ein Materialist, der nur an die Gesetze der physikalischen Materie glaubt, sondern man ist Esoteriker, das heißt, man weiß auch um die höheren Gesetze von Karma, Reinkarnation und Resonanz. Man kann also durchaus an Karma und Reinkarnation glauben und dennoch ein Atheist sein. Aber nicht jeder, der an Karma und Reinkarnation glaubt, ist ein Atheist. (Die esoterische Form des atheistischen Monismus bedeutet nicht, daß jegliche Esoterik atheistisch ist. Esoterik kann sehr wohl auch theistisch sein, aber dann sprechen wir hier in der philosophischen Unterscheidung nicht mehr nur von Esoterik, sondern von Spiritualität, weil Realität in ihren materiellen und spirituellen Differenziertheit erkannt wird.)

zurück

Atheistische Esoterik: die esoterische Form des atheistischen Monismus

Atheistische Esoterik ist heute weit verbreitet, obwohl sich die meisten Wahrheitssucher in der Esoterik dessen nicht bewußt sind. Kernsätze der atheistischen Esoterik sind:
„Alles ist Gott“, „alles ist eins“, „alles ist gut“, „alles ist Liebe“, „Gott ist Energie“ oder „alles ist eine notwendige Erfahrung“. Obwohl diese Aussagen nicht unwahr sind, sind sie einseitig, da sie nur die eine Hälfte der Wahrheit sehen. Dies wird ersichtlich, wenn wir diese scheinbar harmlosen Aussagen bis in ihre letzte Konsequenz ausformulieren – was ich hier nun kurz tun möchte.

Mit der esoterischen Version des atheistischen Monismus berühren wir die höchsten bzw. höchstgradigen Ebenen vieler religiöser und säkularer Machtgruppierungen. Ich formuliere deren Weltbild hier etwas überspitzt, aber nicht übertrieben:

„Um Realität zu verstehen, muß man ein Realist sein und der Wahrheit ins Auge schauen. Wahrheit tut bekanntlich weh, weshalb nur die wenigsten bereit sind, sich der Wahrheit konsequent zu stellen. Denn die Wahrheit ist: Alles ist Energie. Realität ist die Einheit jenseits der Zweiheit, weshalb man die Zweiheit überwinden muß, um in die Einheit zu gelangen. Diejenigen, die diese Wahrheit erkennen, sind die einzig wahren Realisten. Sie, d. h. wir, sind
im Licht = erleuchtet, lat. illuminati. Wer erleuchtet ist, hat die Konzepte von Zweiheit konsequent überwunden, insbesondere Konzepte wie ,gut und böse‘, ,Liebe‘ oder ,Gott und ich‘, d. h. die mittelalterlichen Konzepte von einem strafenden oder richtenden Gott. Es gibt keinen strafenden Gott und daher logischerweise auch keinen liebenden Gott. Aus der absoluten Sicht gibt es auch kein Gut und kein Böse. Erleuchtung bedeutet daher: Handeln aus diesem Bewußtsein heraus, jenseits von Gut und Böse. Wer erleuchtet und berufen ist, handelt nicht nach Kriterien von Gut und Böse, sondern einzig nach dem Kriterium der Notwendigkeit.“

Wenn hier von Erleuchtung gesprochen wird, ist damit eine Scheinerleuchtung gemeint, die letztlich der Ego-Rechtfertigung dient. Das Reizwort
Illuminati ist mittlerweile sogar ein Bestseller-Begriff geworden, wie der Roman von Dan Brown beweist. Wichtig in unserem Zusammenhang ist die Feststellung, daß mit diesem Begriff keine Organisation, sondern ein Weltbild und eine Mentalität gemeint ist. In jedem von uns steckt ein Illuminat, die Frage ist nur, bis zu welchem Grad. (Natürlich ist es auch möglich, von Scheinerleuchtung und Ego-Rechtfertigung frei zu sein. Das ist sogar – aus der spirituellen Sicht – unsere Lebensaufgabe.)

In der praktischen Umsetzung führt der atheistische Monismus zu einem gottlosen Pragmatismus. Pragmatismus ist die Geisteshaltung, die den Wert einer Sache daran mißt, inwieweit sie für das Erreichen der eigenen Ziele nützlich ist. In der negativen Version entspricht der Pragmatismus der Haltung: „Der Zweck heiligt die Mittel.“ Man tut alles, was praktisch ist, um das zu erreichen, was notwendig ist. Und was notwendig ist, bestimmen die Pragmatiker. Es ist ein logischer Teufelskreis – oft auch im wörtlichen Sinn.

zurück

Vom atheistischen zum theistischen Monismus

In der Symbolik von Licht und Schatten besagt der atheistische Monismus: „Licht ist die Abwesenheit von Schatten. Wenn man alle Schatten überwindet, ist man im Licht.“ Realität wird durch eine Negation der Relativität definiert – was im direkten Sinne des Wortes eine negative Philosophie ist. Man meint, wenn man alle Dualität negiere, habe man sie überwunden und sei
erleuchtet. Da die Realität nur als eine abstrakte Einheit von Energie gesehen wird, meint man, das Absolute, Gott, habe keinen Willen und keinen Maßstab von Gut und Böse. Deshalb fühlen sich die atheistischen Monisten berufen, selber die Maßstäbe von Gut und Böse zu erstellen, was sie gemäß ihren eigenen Kriterien tun: „Wenn wir alles beseitigen (vernichten, unterwerfen, erobern usw.), was dem Frieden im Wege steht, werden wir Frieden haben. Wenn wir alle Krankheiten besiegt haben, wird die Menschheit gesund sein. Wenn es nicht mehr ‹zu viele› Menschen gibt, wird das Problem der Überbevölkerung und des weltweiten Hungers beseitigt sein.“

Irgendwie kann an dieser selbstherrlichen Weltsicht etwas nicht stimmen. Licht ist nicht einfach nur die Abwesenheit von Schatten. Es ist nicht möglich, Schatten aus eigener Kraft zu entfernen und dadurch ins Licht zu kommen. Man kann zwar die Dualität verneinen und sie dadurch vermeintlicherweise transzendieren, aber dies ist immer nur ein mentales und intellektuelles Konstrukt, eine Scheinerleuchtung. In der indischen Philosophie wird dies
māya-vāda genannt: „die Weltsicht, die besagt, alle Relativität sei māyā, Täuschung.“

Wenn man, symbolisch gesprochen, in Dunkelheit ist, hat man keine direkte Erfahrung von Licht und weiß daher auch nicht, was Licht in Wirklichkeit ist. Deshalb definiert man
Licht gezwungenermaßen mit Begriffen der Dunkelheit, was immer nur zu Halb- und Teilwahrheiten führen kann. Licht selbst ist eine eigene Realität, die unabhängig von Dunkelheit ist, und das ist die wörtliche Bedeutung von absolut: „ungebunden; unabhängig“.

Realität ist die Einheit jenseits der Zweiheit. Diese Einheit ist aber nicht bloß eine neutrale Einheit von Energie und auch keine abstrakte
Abwesenheit von Dualität, sondern – wie das Licht – eine eigene, absolute Realität. Die spirituelle Einheit ist ungeteilt und daher ewig (= nicht aufgeteilt in den linearen Zeitfluß von Vergangenheit und Zukunft), sie ist raum- und zeitlose, ewige Gegenwart. Das Ungeteilte ist eine konkrete Realität, für die wir in unseren Sprachen ein perfektes Wort haben. Jenseits der Dualität ist die Individualität.

Individualität bezeichnet die Eigenschaft des Individuum-Seins. Wir sind Individuen, wörtlich
ungeteilte und unteilbare, ewige Geistwesen. Individuum auf Griechisch heißt àtomos und auf Sanskrit ātmā. Das, was die Materie im Innersten zusammenhält, ist das àtomos, das Individuum, die Gegenwart des Geistes. Geist prägt die Materie. Mind over matter. Bewußtsein ist nicht ein Produkt des Gehirns. Vielmehr bedient sich das Individuum des Gehirns und des Körpers, wenn es mit dem physischen Körper eine Beziehung eingeht. Wenn der Materialismus sagt, Leben sei aus Materie entstanden und vergehe mit dem Tod des Körpers, dann sagt er auch: „Du bist kein Individuum!“ Tieren spricht man die Individualität ohnehin ab, und der Mensch ist gemäß diesem Weltbild ebenfalls bloß ein Tier, ein „Irrläufer der Evolution“ (Arthur Koestler), also kein Individuum. Deshalb meinen bestimmte Pragmatiker, man dürfe Menschen, genauso wie Tiere, töten, wenn dies notwendig sei (z. B. in Kriegen und Volksbefreiungen).

Der Monismus strebt also nach einer Erkenntnis der Einheit jenseits der Dualität, wobei diese Nondualität als die eigentliche, einzige Realität aufgefaßt wird. Der wichtigste Schritt, um die atheistischen Weltbilder (Definitionen von Licht aus dem Blickwinkel der Dunkelheit) hinter sich zu lassen, ist die Erkenntnis Nondualität = Individualität. Von hier aus braucht es nur noch einen einzigen Schritt bis hin zum
theistischen Monismus, der die erste Stufe der individuellen, spirituellen Gotteserkenntnis darstellt.

zurück

Theistischer Monismus: die Brahman-Erkenntnis

Durch eine kontemplative und meditative Selbstbetrachtung wird es möglich, sich selbst als ein Teil des Lichtes zu erkennen, der in seiner ewigen Essenz von der Materie frei und unabhängig ist. Dabei erkennt man als erstes, was man nicht ist. Auf dieser Stufe von Erleuchtung erlebt man sich selbst in der Nondualität (sanskr.
advaita); man ist frei von materiellen Konzepten und Identifikationen (māyā) und erkennt, daß man auch jenseits aller Dualität immer noch Bewußtsein ist. Man erwacht im Nichts – dort, wo nichts Materielles mehr ist. Wenn das Bewußtsein leer geworden ist, bleibt die unbegrenzte Weite und das reine spirituelle Selbst.

Aber auch dann, wenn man sich als Individuum, als bewußtes Geistwesen, erkannt hat, kann man – auch mit einem Glauben an Karma und Reinkarnation – immer noch ein atheistisches Weltbild haben. Das typische Beispiel hierfür ist der Buddhismus, der sich selbst als eine atheistische Religion bezeichnet. Das bedeutet nicht etwa eine Abwertung des Buddhismus. Dieser ist eine Stufe genauso wie jeder andere Glaube auch, und man kann ihn sowohl
aufwärts als auch abwärts gerichtet leben. Für beide Formen des Buddhismus ließen sich Beispiele anführen.

Wenn Selbsterkenntnis nur über die Negation der Dualität angestrebt wird, kann man zwar erkennen, was man nicht ist, aber man hat noch nicht erkannt, was man ist. Daher besteht die Gefahr, daß man dem Glauben verfällt, man selbst sei Herr und Meister der Materie, denn auch in der Freiheit von materiellen Selbstbegrenzungen bleibt das Ich-Gefühl erhalten. Da der Erfahrungshorizont sich mangels anderer Erkenntnisse ausschließlich an der Materie orientiert, meint man: „Wenn Geist über Materie steht und ich ein Geistwesen bin, dann stehe auch ich über der Materie und kann sie mit meinen geistigen Kräften nach meinen eigenen Vorstellungen manipulieren.“ Mit anderen Worten: Man hält sich selbst für Gott. In der vedischen Philosophie wird dies als die letzte Falle von
māyā bezeichnet. In unserer Terminologie wäre dies die subtilste, verführerischste Form des atheistischen Monismus.

Diejenigen, die nicht bei dieser halben Wahrheit stehen bleiben, erkennen, daß nicht nur sie als relative Wesen Individuen sind, sondern daß auch das Absolute
individuell ist: ein absolutes, allumfassendes Individuum (= ungeteiltes, bewußtes Wesen). Gott als das absolute Individuum ist für den materiell begrenzten Verstand nicht vorstellbar, aber für uns – als geistige Wesen – durchaus erkennbar und erlebbar. Der erste Aspekt Gottes, der sich offenbart, ist seine absolute Allgegenwart als göttliche Energie (sanskr. Brahman), genauso wie das Licht das erste ist, was man sieht, wenn Dunkelheit wirklich überwunden ist. Theistischer Monismus ist das, was in der vedischen Philosophie als Brahman-Erkenntnis bezeichnet wird: die erste Stufe einer echten, spirituellen Gotteserkenntnis. Man erkennt sich selbst als ewigen Teil der göttlichen Einheit, die allgegenwärtig und absolut ist. Das spirituelle Individuum erkennt seine qualitative Einheit mit dem Absoluten. Tat tvam asi, „das bist du“, die bekannte Sanskritformel aus den Upanishaden, ist ein Schlüsselsatz in diesem Zusammenhang.

zurück

Spirituelle Gotteserkenntnis

Während in der Brahman-Erkenntnis der monistische Aspekt des Einsseins mit Gott hervorgehoben wird, gehen die umfassenderen Stufen des Theismus vom individuellen Aspekt der Gotteserkenntnis aus. Gott als absolutes Individuum ist sowohl immanent als auch transzendent gegenwärtig. Wenn man von Gottes immanentem Aspekt spricht, meint man damit die Allgegenwart des göttlichen Bewußtseins in der Schöpfung. Im Sanskrit spricht man hier von der Paramātmā-Erkenntnis, das heißt, man erkennt sich selbst als relatives Individuum (
ātmā) und Gott als absolutes Individuum (Paramātmā) und vermeidet dadurch die oben erwähnte letzte Falle von māyā, weil man sich nicht für einen unabhängigen ātmā hält. Vielmehr erkennt man, daß jegliches Leben nur dank der alldurchdringenden (immanenten) Präsenz des göttlichen Bewußtseins möglich ist und daß man selbst nie unabhängig handeln kann. Die kosmische Intelligenz wird hier als das schöpfende Wirken der Individualität Gottes erkannt (und nicht bloß als das Wirken von abstrakten Energien und „morphogenetischen Feldern“).

Deswegen sagt Krishna in der
Bhagavad-gītā (9,4-6; Übersetzung von A. R.): „In der gesamten Schöpfung bin ich, der Ungeschaffene, in meiner unsichtbaren Gestalt gegenwärtig. Alles ist in mir, doch ich bin nicht in allem./ Und dennoch ist nicht alles in mir [so wie Schatten zwar vom Licht umgeben, aber nicht direkt im Licht sind]. Dies ist das Mysterium meiner Individualität! Alle Schöpfungen und Geschöpfe gehen von mir aus und ruhen in mir, doch ich bin nicht alles, obwohl ich allgegenwärtig bin./ So wie die ständig rege Luft den Himmelsraum erfüllt, dieser aber von ihr verschieden ist, so befindet sich alles in mir.“

Der Hinweis auf die gleichzeitigen Realitäten von
ich bin hier und doch nicht hier; ich bin alles und doch nicht in allem bezieht sich auf den immanenten und transzendenten Aspekt Gottes. Im immanenten, energetischen Aspekt ist Gott alles und überall, aber im transzendenten, individuellen Aspekt ist Gott nicht alles und nicht überall, so wie Licht nicht überall ist, obwohl es alles ist und selbst keinen Schatten wirft. Die zusätzliche Erkenntnis des transzendenten Aspektes von Gottes Individualität wird im Sanskrit Bhagavān-Erkenntnis genannt. Bhagavān bedeutet „das alle in-dividuellen Aspekte (bhaga) Aufweisende (vān)“ und bezieht sich auf Gott als absolutes Individuum, denn Bhagavān enthält Brahman und Paramātmā, Brahman und Paramātmā aber noch nicht Bhagavān. In der Symbolik von Licht und Schatten könnte man sagen, daß die Sonne sowohl das Licht (= Brahman) als auch die Sonnenstrahlen (= Paramātmā) enthält, das Licht und die Strahlen enthalten aber noch nicht die Sonne, obwohl sie alle untrennbar eins und verbunden sind. Der heute oft sehr oberflächlich verwendete Begriff „spirituell“ bezieht sich auf dieses Bewußtsein, das alles, auch das Materielle, im Licht der göttlichen Individualität sieht. Hier spricht man nicht mehr nur von Religiosität und Esoterik, sondern von Spiritualität.

Eine Schlüsselstelle der heiligen Sanskrit-Schriften beschreibt dies wie folgt: „Diejenigen, die Gott als die Absolute Wahrheit erkannt haben (
tattva-vidas tattvam), sagen, daß Gott die nonduale Realität (advayam) ist, die in drei Aspekten erkannt wird: brahmeti paramātmeti bhagavān iti sabdyate, d. h. als Brahman [die alldurchdringende Energie], als Paramātmā [das immanente Bewußtsein Gottes] und als Bhagavān [die transzendente, ursprüngliche Individualität Gottes].“ (Śrīmad-Bhāgavatam 1.2.11)

zurück

Das Mysterium des gleichzeitigen Eins- und Verschiedenseins

Der Konzept von
Individuum wird vielfach als nicht-spirituell betrachtet, weil es scheinbar dem Prinzip der absoluten Einheit widerspricht. Denn als Individuen sind wir nicht nur Teil der Einheit, sondern auch verschieden von allen anderen Individuen. Ein Individuum zu sein bedeutet, daß ich ich bin, weshalb auch in der Esoterik – mit Recht, aber oft mißverständlich – von einem Ich-bin-Bewußtsein gesprochen wird. Wie kann man gleichzeitig von Individualität und Nicht-Dualität, von Verschiedenheit und Einheit, sprechen?

An dieser Stelle wird der Mysterienschüler ein weiteres Mal grundlegend herausgefordert. Die vedischen Lehrgedichte, die Upanishaden, die für ihre paradoxe Argumentationsweise bekannt sind, fragen hier: „Wenn du ein Individuum, ein ewiger Teil Gottes, bist und wenn Gott ebenfalls ein Individuum ist, ein ungeteiltes, unteilbares Wesen, wie kannst du dann ein Teil des Unteilbaren sein? Wie kann das unteilbare absolute Individuum, Gott, sich in unendlich viele Teile aufteilen?“ Diese Frage ist keine theologische Spitzfindigkeit, sondern die Kernfrage überhaupt. Es heißt, wer die richtigen Fragen stellt, findet auch die Antwort. Lassen Sie mich diese Frage also noch konkreter stellen: Wie kann ich gleichzeitig individuell und eins mit Gott sein? Es geht um das gleichzeitige Eins- und Verschiedensein. Man würde meinen, das eine schließe das andere aus. Entweder ist man individuell und dann eben nicht eins mit Gott, denn ich bin ein Individuum. Oder ich bin eins mit dem Absoluten und dann nicht mehr individuell. Wie kann beides gleichzeitig möglich sein? Da Bewußtsein eine absolute Realität ist, geht es hier um eine Frage des Bewußtseins. Stellen wir die Frage also noch genauer: In welchem Bewußtsein bin ich gleichzeitig individuell und eins mit Gott?

Es gibt nur ein einziges Bewußtsein –
bewußtes Sein –, in dem dies möglich ist. Sie alle kennen die Antwort, und wir sprechen sie oft aus, ohne uns jedoch immer bewußt zu sein, welch universelle, absolute Wahrheit wir hier in den Mund nehmen. Das Bewußtsein, in dem wir gleichzeitig eins und individuell sind, ist die Liebe. Liebe ist also keine Illusion der Dualität, wie die atheistischen Monisten meinen, sondern die absolute Realität! Denn nur in Liebe sind wir eins mit Gott und können im Licht dieser Einheit unsere wahre Individualität erkennen und leben. Dies gilt auch für die zwischenmenschliche Beziehung der Liebe: Zwei Menschen sind eins und individuell. Natürlich gäbe es auch romantischere Formen der Definition von Liebe. Aber auch die philosophische Definition hat ihre Berechtigung. Zwei sich liebende Menschen sind ein Herz und eine Seele, sonst könnte man nicht von Liebe sprechen. Wenn die zwei jedoch nicht gleichzeitig die Individualität des anderen voll respektieren, ist es nicht mehr Liebe, sondern Besitzanspruch und Machtspiel.

Die Liebe zu Gott – das Bewußt-Sein des gleichzeitigen (= ewigen) Eins- und Individuellseins – wird im Sanskrit
bhakti genannt. Jede theistische Mysterientradition hat für diese Realität ihre eigenen Begriffe, und sie alle meinen damit dasselbe Unaussprechliche. Auch das Absolute ist eine in-dividuelle Einheit der Zweiheit, sonst hätte Gott keine dynamische Schöpfungskraft. Gott als Einheit der Zweiheit wird in den vedischen Mysterien als Rādhā-Krishna bezeichnet, der Ausdruck grenzenloser, alldurchdringender Liebe. Aber hier haben wir den Bereich der Philosophie weit hinter uns gelassen und sprechen über mystische Geheimnisse, die nur individuell erfahren werden können.

Ich bleibe hier bei der Philosophie und halte zusammenfassend fest: Wenn man sagt, „alles ist Brahman“, so ist dies eine richtige Aussage, und sie entspricht einer vedischen Grundwahrheit.
Alles ist Brahman bedeutet aber nicht alles ist eins, denn aus der differenzierenden Sicht des spirituellen Theismus müßte man sagen: „Alles ist eins und verschieden (individuell).“

Entscheidend ist also die Erkenntnis, daß Gott nicht bloß Energie ist, sondern ein (absolutes) Individuum, weshalb Gott Bewußtsein, Wille, Liebe und auch Gnade
(3) hat bzw. ist. Wer das Prinzip der spirituellen, ewigen Individualität verkennt, muß zwangsläufig meinen, Realität sei nichts anderes als neutrale Energie und abstrakte Einheit. Aus diesem Blickpunkt betrachtet, gibt es keinen Gott, sondern nur das Absolute, das ohne Bewußtsein, ohne Wille und ohne Liebe ist.

Aus der Sicht des spirituellen Theismus darf man also nicht einfach undifferenziert sagen:
„Alles ist Gott“, sondern man müßte sagen: „Gott ist alles, aber nicht alles ist Gott.“ Licht ist überall, aber dort, wo sich etwas vom Licht ausgrenzt und abspaltet, herrscht Dunkelheit. Sobald die Abspaltung aufgehoben wird, ist auch dort, wo vorher – für eine gewisse Zeit – Dunkelheit war, Licht. Licht ist also überall, obwohl nicht überall Licht ist. Liebe ist alles, aber nicht alles ist Liebe. Nur weil es Individuen gibt (Gott und die Teile Gottes, die Lebewesen), gibt es Liebe, und nur im Licht dieser Liebe kann man alles, was ist, auch das Negative und Gottlose, in einem sinnvollen (lichtvollen) Zusammenhang sehen. Liebe ist die einzig wirkliche Einheit, denn die abstrakte Einheit von Energie ist keine praktische Realität, sondern nur ein mentales Konstrukt – genauso wie der Glaube, man könne Schatten entfernen und dadurch ins Licht kommen. Liebe bedeutet individuelle Einheit, d. h. Einheit in der Verschiedenheit. Beziehung, insbesondere Liebe, ist nur zwischen Individuen möglich. Wer sich selbst und Gott nicht als Individuum erkennt, verfällt einer luziferischen Ego-Rechtfertigung und muß atheistisch-pragmatischen Richtlinien folgen, die in letzter Konsequenz gottlos und daher auch liebe-los sind. Es geht hier um Sein oder Nicht-Sein – von uns selbst und heute mittlerweile auch von uns als Menschheit.

zurück

Was ist Gottes Wille?

Kann nicht jeder behaupten, das, was er tue, sei
Gottes Wille? Wurde nicht schon oft von heiligen Kriegen und Kreuzzügen behauptet: „Gott will es so“?

Auch der Theismus ist eine Stufe, von der man aufwärts oder abwärts gehen kann. Wer den Begriff
Gottes Wille für weltliche Machtansprüche mißbraucht, geht offensichtlich abwärts. Dies ist ein großes Problem des sogenannten Monotheismus. Mono-Theismus bedeutet, daß man eine bestimmte Gottesform oder Gottesvorstellung verabsolutiert und als die einzig wahre deklariert. (Monotheismus ist also in Wirklichkeit eine Form des Dualismus.) Ein verabsolutierter Gott ist jedoch immer menschengemacht und duldet dementsprechend keine anderen Götter neben sich. Das allein verrät schon, daß hier nur eine relative Größe verabsolutiert wird. Denn das wahre Absolute steht nicht im Widerstreit mit dem Relativen. Das Absolute ist nicht ex-klusiv, sondern in-klusiv. Es beinhaltet alles Relative in sich und ist das, wodurch alles Relative verbunden ist und seinen Sinn bekommt. Was hier in dieser Abhandlung als die umfassende Gotteserkenntnis bezeichnet wird, ist also kein Mono-Theismus, sondern ein spiritueller Theismus. (4)

Gemäß dem spirituellen Theismus ist Gott
bewußte, ungeteilte Einheit (In-Dividuum), und diese Einheit kann nur im Bewußtsein der reinen, uneigennützigen Liebe als Realität erfahren werden. Und diese reine Form von Liebe ist Gottes Wille. Liebe ist die Vollkommenheit des freien Willens, da Liebe immer freiwillig ist. Wir können also auch sagen: Gott will die Vollkommenheit unseres freien Willens. Denn in dieser Einheit sind wir bewußt mit der absoluten Quelle verbunden, von der wir alles bekommen, was wir brauchen, um in dieser Liebe leben zu können. Wer nicht im Bewußtsein der göttlichen Liebe lebt, ist nicht direkt mit der Quelle verbunden und muß daher alles, was er zu brauchen meint, aus dem eigenen Ego schöpfen und von anderen Lebewesen beziehen. Man muß also andere Lebewesen als Energiequelle für sich selbst verwenden. Hier haben wir den archetypischen Ursprung jeglicher Ausbeutungsmentalität.

Wer jedoch aus dem Bewußtsein der
bhakti heraus handelt, muß keine Ego-Unterfangen rechtfertigen und muß nicht andere Menschen zu seinem eigenen Nutzen verwenden (= ausbeuten, manipulieren, rekrutieren, missionieren usw.). Ego bedeutet eine falsche Selbstidentifikation: Man identifiziert sich mit materiellen Bezügen, mit irgendwelchen materiellen Objekten, Besitztümern und Ideologien. Man identifiziert sich mit etwas, was man nicht ist, und das ist māyā, wörtlich: das, was nicht ist. Nicht die Welt der Dualität ist Illusion (māyā), wie die atheistischen Monisten mit ihrer Negation der Dualität meinen. Māyā ist ein Bewußtseinszustand und bezieht sich auf das, was ich nicht bin, im Gegensatz zu dem, was ich bin, nämlich ein ewiger Teil Gottes. Die materielle Erscheinungswelt ist also ebenfalls Realität. Sie ist eine relative Realität, während die Individualität die spirituelle, absolute Realität ist, die alles enthält und beseelt, einschließlich der Materie.

Das spirituelle Ich-bin-Bewußtsein hat nachhaltige konkrete Konsequenzen. Es bedeutet, das der freie Wille nicht bloß eine Illusion des Gehirns ist, sondern eine spirituelle Realität, die mit individueller Selbstverantwortung verbunden ist. Erst in diesem Zusammenhang kann man auch das Prinzip des Karma richtig verstehen. Karma bedeutet nicht nur Prädestination entsprechend dem Wirken der neutralen, mechanischen und gnadenlosen Gesetze von Aktion von Reaktion. Karma bezieht sich auf das gleichzeitige Wirken von Prädestination und freiem Willen. Wenn jemand auf andere Menschen Gewalt und Manipulation anwendet, ist dies also nicht so sehr das
Karma der Opfer, sondern das Ergebnis des freien Willens der Täter, weshalb die Täter – trotz aller deistischen und monistischen Ego-Rechtfertigungen – für all ihre Handlungen verantwortlich sind.

Freier Wille und Verantwortung kreisen letztlich immer um die Frage: Handle ich entsprechend Gottes Willen? Wer entsprechend Gottes Willen handelt, handelt entsprechend der klaren, unterscheidenden Liebe. Nur wer diese Liebe individuell für sich offenbart bekommen hat, kann unterscheiden, was göttliche Liebe ist und was nicht. Ansonsten muß man gemäß Ego-Kriterien urteilen.

(Hier ging der Vortrag weiter mit dem Thema
Unterscheiden, ohne zu urteilen, was übrigens fast eine wörtliche Übersetzung des Titels unserer Zeitschrift ist: Tattva Viveka, „Wahrheit finden durch Viveka, ,spirituelles Unterscheiden‘.“)

zurück

(1) Die Begriffe Schatten und Dunkelheit werden hier synonym verwendet. Dunkelheit ist ein isolierter Schattenbereich. zurück
(2) Quellenangabe und weitere ähnliche Zitate aus der Geheimlehre finden sich in Licht wirft keinen Schatten, S. 105–109. zurück
(3) Die Gnade Gottes ist vergleichbar mit dem Licht, das immer gegenwärtig ist, egal wie lange man sich in der Dunkelheit aufgehalten hat. Sobald man das, was das Licht abblockt, entfernt, strömt Licht in die Dunkelheit und vernichtet diese, wie wenn es nie dunkel gewesen wäre. Nur das Licht kann uns von der Dunkelheit erlösen. Deshalb heißt es mit Recht, Gott warte auf uns, bis wir wieder unser Bewußtsein öffnen und uns durch unsere Liebe mit Ihm verbinden. zurück
(4) Im Buch erwähne ich die früheste bekannte Form des spirituellen Theismus, nämlich die Religion des Pharaos Echnaton im 14. Jahrhundert v. Chr. Es heißt immer, Echnaton habe als erster einen Monotheismus gegründet. Das stimmt jedoch nicht. Echnaton wollte einen spirituellen Theismus, denn er erkannte, daß alle Götter Teile des Einen Absoluten, des „Aton“, sind. Ohne das Bewußtsein des absoluten Hintergrundes werden alle Götter zu Götzen der Menschen. Nirgendwo in Echnatons Sonnengesang sagt Aton, er dulde keine Götter neben sich. zurück

zurück