Vedische Kosmogonie
Eine wissenschaftliche Genesis-Beschreibung aus altindischen Quellen
Geschrieben unter Verwendung von Ausschnitten aus Kapitel 10 des Buches Licht wirft keinen Schatten
© Govinda-Verlag (mit freundlicher Genehmigung)
Kosmogonie jenseits von Darwinismus und Kreationismus
Quantenphysik: Ansätze zu einem neuen Realitätsverständnis
Die vedische Genesis
Zusammenfassung
Die Kritikpunkte an der materialistischen Evolutionstheorie (Darwinismus) und an der bibelfundamentalistischen Schöpfungstheorie (Kreationismus) zeigen, daß eine befriedigende Erklärung sowohl über den Darwinismus als auch den Kreationismus hinausgehen muß, ohne dabei jedoch die Wahrheitsanteile beider Seiten zu verlieren oder vorschnell über Bord zu werfen. Damit suchen wir nichts anderes als das Urwissen der Menschheit, so wie die Menschen es wahrnahmen, bevor es durch materialistische und „religiöse“ Ideologien verfälscht wurde.
Heute haben wir die Möglichkeit, dieses Urwissen nicht nur mythisch, sondern auch logisch zu erkennen und mytho-logisch auszudeuten. Das ist die besondere Herausforderung an den modernen Menschen: mythos (übersinnliche Wahrnehmung) und lógos (sinnlich-empirische Forschung) nicht zu trennen, sondern wieder, wie es ursprünglich war, als Einheit zu sehen und zu vereinen. Dann ist der Mensch nicht mehr nur logisch, sondern „mehr“ als logisch: mytho-logisch (in der Verbindung von mythos und lógos).
Ein konkretes Beispiel hierfür ist die Kosmologie, die Lehre vom Ursprung und Aufbau des Kosmos. Wer den Kosmos nur „logisch“ betrachtet, bekommt ein einseitiges Bild, das beschränkt ist durch die empirische Sinneswahrnehmung und meistens auch durch ein materialistisches Weltbild. Durch die Verbindung von lógos und mythos wird Kosmologie zu Kosmogonie, zu einer mytho-logischen Lehre vom Ursprung und der Entstehung des Kosmos (grch. kósmos und gónos, „Geburt“). Kosmogonie ist eine ganzheitliche Kosmologie, die sowohl die Materie als auch den Geist in Betracht zieht, denn beides sind grundlegende Faktoren des Universums, das in seiner Gesamtheit ein multidimensionaler Kosmos ist und durch die kosmogonische Sicht auch als solcher wahrgenommen wird.
Eine für den modernen wissenschaftlichen Geist besonders erstaunliche Kosmogonie findet sich im altindischen (vedischen) Kulturkreis, dessen Wurzeln weit in die Zeit vor Christus zurückreichen. Diese Kosmogonie, die vedische Genesis, ist uns durch das altindische Schrifttum, verfaßt in der Sanskrit-Sprache, umfangreich und in zahlreichen heiligen Schriften in vielfacher Formulierung überliefert.
Kosmogonie jenseits von Darwinismus und Kreationismus
Der Darwinismus und auch der Kreationismus enthalten wichtige Elemente, die zum Urwissen der Menschheit hinführen können oder sogar zu diesem Urwissen gehören. Leider sind diese Elemente durch die inhaltliche und historische Gegensätzlichkeit weitgehend verwischt worden, und die Absolutheitsansprüche der kreationistischen wie auch der darwinistischen Seite haben reelle Durchbrüche in neue Dimensionen der Wahrnehmung und der Erkenntnis bisher unmöglich gemacht.
Für Jahrhunderte hat das Christentum alle Andersgläubigen oder «Falschgläubigen» blutig verfolgt. Daher war es erforderlich, daß dieser bibelfundamentalistische Bann gebrochen wurde, und dies geschah durch die Renaissance, die Aufklärung und die wissenschaftliche Revolution. Durch den Darwinismus wurde der Blick des Menschen für neue Perspektiven geöffnet, und man durfte wieder wagen, mutig über die religionsdogmatischen Grenzen hinauszudenken. Daß die Menschheit dabei in das andere Extrem – in den atheistischen Materialismus – gezogen wurde, liegt in der Natur der Sache, denn das eine Extrem fordert immer ein anderes Extrem heraus. Deshalb sollte man sich heute auch nicht auf den Darwinismus beschränken, sondern die neue Freiheit verwenden, um noch umfassendere Erkenntnisse zu finden.
Der Kreationismus wiederum liefert die beste Kritik der darwinistischen und neodarwinistischen Theorien und weist deutlich darauf hin, daß Schöpfung nicht ohne ein höheres Bewußtsein, nicht ohne eine höhere Quelle von «Information», möglich ist, und diese Quelle von Information ist letztlich Gott in einem persönlichen bzw. individuellen Sinn.
Quantenphysik: Ansätze zu einem neuen Realitätsverständnis
„Wenn wir jedoch eine vollständige Theorie entdecken, dürfte sie nach einer gewissen Zeit in ihren Grundzügen für jedermann verständlich sein, nicht nur für eine Handvoll Spezialisten. Dann werden wir uns alle – Philosophen, Naturwissenschaftler und Laien – mit der Frage auseinandersetzen können, warum es uns und das Universum gibt. Wenn wir die Antwort auf diese Frage fänden, wäre das der endgültige Triumph der menschlichen Vernunft – denn dann würden wir den Plan Gottes kennen.“
— Prof. Stephen W. Hawking, einer der führenden Physiker und Kosmologen der Gegenwart
(Schlußworte in seinem Buch: Eine kurze Geschichte der Zeit – Die Suche nach der Urkraft des Universums, S. 218)
Das Erkennen der spirituellen Realität jenseits der materiellen Dualität eröffnet uns eine neue Sicht auf die Welt, in der wir leben. Diese Sicht geht weit über das Weltbild der materialistischen Wissenschaft hinaus, sogar über jenes der modernen Quantenphysik. Diese hat zwar erkannt, daß es in Wirklichkeit gar keine „Materie an sich“ gibt, sondern daß Materie „Energie“ ist, die auf ihrer gesamten Bandbreite – vom Universum bis in die nuklearen Strukturen – holographisch strukturiert und verkoppelt ist. Das ist eine wichtige und richtige Erkenntnis, nur sollte man hier nicht aufhören, denn Realität ist weit mehr als nur die „Einheit der Materie“. Ansonsten müßte man meinen – so wie das auch viele Quantenphysiker tun –, daß Materie und Bewußtsein letztlich dasselbe seien, nämlich „Energie“; Bewußtsein sei nur eine «quantenmechanische» Sonderform der organischen Materie. Wenn man in dieses undifferenzierte, modern-materialistische Weltbild fällt, verpaßt man den Schlüssel zur Erkenntnis von dem, was Leben und Bewußtsein wirklich sind. Denn die weiterführende Frage müßte lauten: „Was ist Energie?“ Ohne diese Frage beantwortet zu haben, kann man nicht einmal wissen, was Materie ist, ganz zu schweigen davon, was Bewußtsein und was Leben ist.
Genauso wie „Licht“ die Realität jenseits von Schatten und Dunkelheit ist, so ist „Individualität“ (die Individualität Gottes und all seiner Teile) die Realität, von der jegliche Materiebildung und Materieumformung abhängig ist, angefangen von der kosmischen Materie-Einheit («Universum») bis hin zu den einzelnen Planeten mit allem, was auf ihnen sichtbar und unsichtbar vorhanden ist. Materie als ein durch Raum und Zeit begrenzter Ausdruck des unbegrenzten Bewußt-Seins ist multidimensional existent, nicht nur dreidimensional, wie das die «logischen» Wissenschaftler unserer Erde meinen. Leben und Bewußtsein sind spirituell (= raum- und zeitlos präsent), und nur aus diesem Urgrund heraus entsteht Materie. Letztlich entsteht alles – direkt oder indirekt – aus dem absoluten Urgrund, der absoluten Individualität, von der die Dualität der Schatten ist. Alles ist Leben und Bewußtsein („Energie“), aber nicht alles ist Materie!
Eine „vollständige Theorie“, wie sie auch Stephen Hawking im obigen Zitat herbeisehnt, muß also von der Realität der Individualität von Bewußtsein und Energie ausgehen. Der Darwinismus und der Kreationismus genügen diesen Ansprüchen nicht. Wie dargelegt, handelt es sich hier um zwei entgegengesetzte Extreme, die viele Fragen offenlassen.
Die vedische Genesis
Das erste Kapitel der biblischen Genesis ist nicht die einzige göttliche Quelle, die uns den Schöpfungsvorgang näherbringt. Wie bereits erwähnt, enthalten die altindischen Sanskritschriften eine umfassende Kosmogonie-Offenbarung, insbesondere die Puranas, „die uralten Schriften“ (das Sanskrit-Adjektiv purana bedeutet „alt; auf die urersten Zeiten zurückgehend“), die sich aus 18 Haupt-Puranas zusammensetzen, die alle für sich selbst bereits kleinere oder größere „Bibeln“ sind (grch. biblion, „Buch“, benannt nach dem phönikischen Hafen Byblos, woher der Papyrus kam; die indischen Schriften wurden jedoch nicht auf Papyrus, sondern auf Palmblätter geschrieben). Jede dieser Purana-Schriften enthält auch eine Genesis-Beschreibung, die in ihrer analytischen und mystischen Gesamtschau ein einheitliches Bild der Genesis (grch. „Schöpfung, Erzeugung, Ursprung“) vermitteln, wobei „Schöpfung“ für den menschlichen Verstand letztlich immer unverständlich bleibt. Deshalb beleuchtet die vedische Genesis dieses eigentlich unverständliche Phänomen aus verschiedensten Winkeln und auf unterschiedlichsten Ebenen, des öfteren auch mit dem Mittel der theologischen Paradoxie.
Alle Puranas enthalten Kapitel, die in einer mytho-logischen Sprache die Schöpfung und die höherdimensionale Herkunft der Menschheit beschreiben. Es wird vielfach betont, daß es eine primäre und eine sekundäre Schöpfung gibt. Die primäre Schöpfung, im Sanskrit sarga genannt, ist die Urschöpfung, die Gott, die absolute Individualität – im Sanskrit Vishnu, der „Allgegenwärtige“, genannt –, vollzieht. Vishnu ist der allumfassende Quell der spirituellen und der materiellen Energie, und nur durch das Medium Vishnus, des Absoluten, kann das Spirituelle durch einen parallelen Quantensprung („Ur-sprung“) etwas Materielles hervorbringen. In einem ewigen Rhythmus «atmet» Vishnu zahllose Universen aus und ein und aus, usw. Wenn es in der Bibel heißt, daß Gott dem Adam Leben einatmet bzw. einhaucht, ist dies eine entfernte Erinnerung an das göttliche «Atmen» in der primären Schöpfung, ohne das keine materielle Formbildung möglich wäre, weder auf universaler noch auf galaktischer und planetarer Ebene.
Die sekundäre Schöpfung, visarga, ist die Schöpfung innerhalb der einzelnen Universen, d. h. die Entfaltung der verschiedenen Dimensionsebenen und Lebenswelten aus der „impliziten Ordnung“ (mahat-tattva, „die große Ordnung“). Einfach ausgedrückt, bedeutet visarga die Erschaffung von Himmel und Erde, wobei „Himmel“ – wie auch in der biblischen Genesis – als ein Pluralbegriff zu verstehen ist: „Beim Beginn schuf Elohim die Himmel und die Erde.“ Diese Erschaffung geschieht durch den kosmischen Schöpfer, genannt Brahmā (wörtl. der „Entfalter“). Brahmā ist der erste in die Materie eingegangene „Sohn“ Gottes (Vishnus). Er ist das erste und höchste Lichtwesen des Universums, und es ist Brahmā, der sagt: „Es werde Licht!“ Denn innerhalb des „potentiellen Universums“ (brahma-anda, „Brahmā-Ei“) ist tatsächlich „Finsternis“ der ursprüngliche Zustand (anda heißt im Sanskrit auch „Dunkelheit, Finsternis“). Erst durch das göttliche Medium des Brahmā gelangt aus dem spirituellen Urgrund (brahman) Licht in die Dunkelheit.
An dieser Stelle der vedischen Genesis findet sich eine erstaunliche Parallele zum Sieben-Tage-Bericht der biblischen Genesis, allerdings in einer viel ausführlicheren und weniger mißverständlichen Form. Es wird nämlich beschrieben, wie Brahmā die kosmische Schöpfung in sieben Schritten hervorbringt, wodurch die sieben Dimensionsebenen des Kosmos entstehen. Gleichzeitig mit diesen Schritten entstehen die verschiedenen geistigen Urformen aller Lebensformen. Mit der Vollendung des siebten Schrittes sind alle Lebensformen bis hinunter in die physikalisch verdichtete Ebene der Erde (*) geschaffen, so daß sie sich alle nun selbst fortpflanzen können. Direkte Schöpfungsakte sind ab hier nicht mehr erforderlich. Brahmā ruht …
So entstanden Himmel und Erde mit allem, was lebt. Am siebten Tag hatte Gott sein Schöpfungswerk vollendet und ruhte von all seinem Werk. (Gen 2,1-2)
Zu diesen alten Quellen sind in der Zwischenzeit in Ost und West viele Neuoffenbarungen hinzugekommen, die weitere Aspekte des Schöpfungsmysteriums aufzeigen, eines Mysteriums, das letztlich niemand vollständig verstehen kann außer Gott selbst. All diese Schöpfungsbeschreibungen sind nur Modelle, die dem Menschen helfen sollen, das Unverständliche zu verstehen. Wenn nun die Vertreter der verschiedenen Genesis-Versionen beginnen, sich gegenseitig zu bekämpfen, ist dies ein weiterer Sündenfall, denn dadurch hat man sich dem dia-bolischen („spaltenden“) Geist geöffnet. Die verschiedenen Genesis-Offenbarungen weisen alle auf dieselbe absolute Wahrheit hin, nämlich auf die „allbewußte Individualität“ jenseits der materiellen Dualität, für die es viele Namen gibt (Gott, Eloah, Vishnu, Krishna, Yhwh, usw.) und von der wir allesamt „Teile“ („Kinder“) sind.
Diejenigen, die ihre eigene und Gottes Individualität erkannt haben, sind in der Lage, tatsächlich kompromißlos zu sein. Vor allem machen sie keine Kompromisse mit dem dia-bolischen Geist, indem sie sich auf eine einzige Schrift oder Interpretation beschränken lassen. Denn wie Jesus sagte (Joh 8,32): „Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit macht euch frei?“
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* Wenn die Menschen von der Erde durch die verschiedenen Dimensionen hochschauen, endet (aus dieser Perspektive) die kosmische Hierarchie mit der siebten Stufe, mit „Brahmās Himmel“, der in mystischer Schau als reine Lichtwelt wahrgenommen wird, als die Welt der ungebrochenen Polarität, wo es noch keine Dualität gibt. Sogar in unserer Sprache hat sich diese Weltsicht erhalten, denn der „siebte Himmel“ ist ein Ausdruck für die höchste Seligkeit, die man sich vorstellen kann: „sich fühlen wie im siebten Himmel“. zurück